Siegfried Nägele, nachdem er mitteilte, dass er das Bürgermeisteramt nicht annehmen kann. Foto:  

Die Bevölkerung von Bissingen an der Teck zeigt in einem beispiellosen Fall, wie Demokratie von unten funktioniert. Ein Beispiel, dass Kulturpessimisten zu denken geben müsste, findet Johannes M. Fischer in einem Kommentar.

Es war eine Sternstunde der Demokratie, auch wenn das Ende offen ist und es nach wie vor keinen Bürgermeister in Bissingen gibt. Die Wahl eines Kommunalpolitikers, der nicht auf der Liste stand, eine spontane Bürgerversammlung, die von fast der Hälfte der Wähler besucht wurde.

 

Alles begann vor der Wahl mit einer Vorstellungsrunde der beiden Kandidaten, die bei den Veranstaltungsgästen und den Gemeindebewohnern offenbar ein großes Fragezeichen hinterließ. Im Anschluss ging es dann offenkundig wie ein Lauffeuer durch den Ort: „Beide gehen nicht. Ein Plan B muss her“, wie es ein Bewohner formulierte. Ob beim „Italiener“, im „Seestüble“, beim Sportverein, beim Friseur, auf der Straße oder über das Handy: Die Debatte muss derart lebhaft und schnell in eine einheitliche Zielrichtung gelaufen sein, dass ohne eine formale Verabredung über die Hälfte aller Wähler für Siegfried Nägele stimmte, der gar nicht auf dem Zettel stand, aber offenkundig das größte Vertrauen im Ort genießt.

Starke Gemeinschaft und aktive Mitbestimmung

Der Gewählte erbat sich Bedenkzeit und lud dann zu einer Versammlung, die zum nächsten Höhepunkt führte. Eine Veranstaltung, in der gefühlt der halbe Ort anwesend war: Die Gemeindehalle platzte aus allen Nähten. Außerordentlich auch die Bekanntgabe des Gewählten, dass er nicht zur Verfügung steht. In einer sehr klaren und deutlichen Rede ließ er die Eingeladenen teilhaben, warum er mit sich gerungen hatte und wie er zu seiner Entscheidung gekommen war. Natürlich waren die meisten enttäuscht, aber die Entscheidung konnte nachvollzogen werden und wurde akzeptiert. Die Veranstaltung verlief sogar heiter, auch nach der Rede blieben viele zusammen und diskutierten weiter. Sie sprachen über das Geschehene, über das Künftige und sie sparten sich selbst nicht aus: Immer wieder klang der Stolz auf die eigene Gemeinschaft durch. Zurecht. Eine derart aktive Mitbestimmung macht sehr viel Hoffnung, dass die Demokratie sehr viel lebendiger ist, als manch ein Kulturpessimist es haben möchte.