Sage und schreibe 688 Teile umfasst das Inventar der größten Puppenstube der Esslinger Museen. Foto: Michael Saile Fotografie

Chaiselongue, Kupferkessel und Kaffeemühle stehen für das bürgerliche Wohngefühl anno dazumal. Das Stadtmuseum im Gelben Haus zeigt das üppigste und größte Puppenhausinventar seiner Sammlung.

Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen. Diese alte Weisheit spiegelt auch der Hausrat en miniature wider, dem das Esslinger Stadtmuseum im Dezember eine besondere Bühne bietet. Passend zum Weihnachtsmonat präsentiert das Gelbe Haus eine Puppenstubenausstattung der Extraklasse als Objekt des Monats, bei der der gusseiserne Herd schon allein wegen seiner pompösen Größe im Mittelpunkt steht.

 

Dank der integrierten Backröhre steht dieser Herd für eine neue Art des Kochens, die erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufkam. Zuvor wurde in Küchen noch über offenem Feuer mit Rauchfang gekocht, erklärt Kai Engelmann von den Esslinger Museen. Der Neuzugang im Gelben Haus ist mit 688 Einzelteilen die größte Puppenstube der Sammlung und stammt aus dem Besitz der Familien Schreiber und Schimpf.

Zu groß für die Vitrine im Museum

Rosa Fink, die älteste Tochter des Verlagsgründers Jakob Ferdinand Schreiber erbte 1867 das Gelbe Haus von ihrem Vater und wohnte dort mit ihrer Familie bis zu ihrem Tod 1912. Eine Puppenstube erhielt Rosa Fink vermutlich schon als kleines Mädchen und spielte damit bereits in den 1840er Jahren im Gebäude des heutigen Stadtmuseums, vermutet Kai Engelmann.

Doch eindeutig den Kindheitstagen von Rosa Fink, geborene Schreiber, zuzuordnen sei von der hier vorgestellten Puppenstubenausstattung allerdings nichts mehr, betont Engelmann. Trotz allem wertet er dieses aufwendige Inventar einer Puppenstube als ein Abbild bürgerlicher Wohnkultur des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel zeige in jedem Fall, dass die damit verbundenen bürgerlichen Werte auch im Gelben Haus in Esslingen besonders wertgeschätzt wurden.

Diese Puppenstubenausstattung ist im Laufe der Jahrzehnte immer weiter gewachsen. Vier Generationen der Familien Schreiber und Schimpf haben sich am Sammeln beteiligt. Jede Generation sammelte weiter und so weist das Ensemble inzwischen eine unglaubliche Vielfalt auf.

1987 erwarb der Geschichts- und Altertumsverein Esslingen (GAV) die Puppenstube von der Nachfahrin Rosemarie Merz. Nach ihrem Tod 2021 ging das Ensemble schließlich in die Sammlung der Städtischen Museen über. Mit der Rückkehr der putzigen Utensilien und Figuren ins Gelbe Haus, der Heimat des Esslinger Stadtmuseums, schließt sich also ein Kreis. Das Mobiliar von Küche, Wohnstube und Salon steht nun allerdings in Vitrinen. Die eigentliche Puppenstube, die aus nur einem Raum besteht, kann wegen ihrer ausgreifenden Maße gar nicht gezeigt werden, da sie nicht hinter Glas passt.

Lohnen dürfte sich ein Besuch für alle, die sich für das Selbstverständnis und Lebensgefühl des Großbürgertums interessieren. Immerhin stellten wohlhabende Patrizierfamilien nach Engelmanns Worten bereits seit dem 16. Jahrhundert ihren Reichtum zur Schau, indem sie ihre Wohnhäuser im Miniaturformat nachbauen ließen. Üblicherweise wurde die Puppenstube früher in bürgerlichen Kreisen nur für kurze Zeit während der Weihnachtszeit in der guten Stube oder im Salon aufgebaut. Das erklärt möglicherweise auch den guten Zustand all der Terrinen, Kupferkessel, Bierkrüge und Kochutensilien, die hier gesammelt wurden.

Vier Generationen im Sammelfieber

Von der winzigen Stricknadel bis hin zum stattlichen Backofen ist alles dabei, was Kinderherzen einst höherschlagen ließ. Dabei waren Puppenstuben nach Engelmanns Schilderungen ursprünglich gar nicht als Spielzeug gedacht. Lange Zeit war das Spielen schon aus Rücksicht auf die kostbaren und meist sehr fragilen Ausstattungsgegenstände nicht erwünscht, berichtet Engelmann weiter und fährt mit einer Beschreibung der Pädagogik dieser Zeit fort, wonach sich Ende des 18. Jahrhunderts eine neue Sicht auf das Spielverhalten der Kinder entwickelte.

Während man bis dahin noch davon ausgegangen war, dass Spielen ein unnötiger Zeitvertreib war, erkannte man nun den damit verbundenen Lerneffekt. Und so bestanden in der Folge Puppenstuben nicht mehr aus kompletten Gebäuden, sondern wurden kindlichen Maßen angepasst. Anstelle dieser oft pompösen Gebäude wurde das Spielangebot auf einzelne Räume begrenzt, die nach oben hin geöffnet waren. Besonders beliebt waren dabei Küchen, Salons und Wohnstuben.

Auf den ersten Blick wirkt das Esslinger Ensemble mit seinen liebevoll gestalteten und teilweise überaus filigranen Teilen besonders hochwertig. Tatsächlich handelt es sich nach Engelmanns Überzeugung aber zum Großteil um industriell hergestellte Massenware.

So wurden beispielsweise die Blechmöbel der Wohnstube in den 1880er Jahren von der Biberacher Firma Rock & Graner gefertigt. Diese war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der größte Hersteller von Blechspielzeugen in Deutschland, erläutert Engelmann. Dementsprechend sind die Produkte der Firma auch heute noch relativ häufig zu finden. In der Puppenstube der Familien Schreiber und Schimpf dürften diese Blechmöbel nach Einschätzung des Fachmanns zu den ältesten Teilen zählen.

Industriell hergestellte Massenware

Die Geschichte der Stadt im Fokus

Besonderes
 Immer am ersten Dienstag im Monat stellt das Stadtmuseum im Gelben Haus eines seiner Objekte in der Reihe „Historische Schätze“ genauer vor. Das Puppenstuben-Inventar der Familien Schreiber und Schimpf steht am Dienstag, 6. Dezember im Mittelpunkt. Geöffnet ist das Museum am Hafenmarkt 7 dienstags bis samstags von 14 bis 18 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Heiligabend, Erster Weihnachtsfeiertag und Silvester bleiben die Türen geschlossen. An Neujahr ist von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

Bewährtes
 Öffentliche Führungen durch die Dauerausstellung finden immer am dritten Sonntag im Monat um 16.15 Uhr statt. Die Teilnahme an diesen geführten Rundgängen durch die Ausstellung zur Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner und Bewohnerinnen ist kostenlos, nur der Eintritt ins Museum ist fällig. Der nächste Termin ist am Sonntag, 18. Dezember.