Der 56-jährige Jörg Noetzel hat den Wald gleich vor der Haustür. Er kämpft dafür, dass der Naherholungsfaktor dort künftig eine größere Rolle spielt. Foto: Torsten Ströbele

Jörg Noetzel macht sich seit Monaten dafür stark, dass mit dem Wald anders umgegangen wird. Erste Erfolge sind verbucht.

Stuttgart-Botnang - Wenn Jörg Noetzel auf seinem Balkon in Botnang sitzt, hat er einen wundervollen Blick auf den nahegelegenen Wald, der nur einen Steinwurf von seinem Haus an der Sommerhaldenstraße entfernt liegt. Früher hat der 56-Jährige diesen Anblick sehr genossen. Heute ist das leider anders. Vor allem der Schwarzwildpark wurde ausgelichtet – massiv sogar, wie der Mediziner und Klinikmanager betont.

Vor allem die Ereignisse im Frühjahr 2018 haben den Botnanger auf die Palme gebracht: „Entlang der Bezirksgrenze zwischen Gallenklinge und Sommerhalde bot sich ein Bild der Verwüstung. Die Baum-Erntemaschine der Forstleute hatte dort nicht nur viele – zum großen Teil sehr alte – Bäume gefällt, sondern auch viele Wege und Pfade unbegehbar gemacht. Tiefe Furchen durchzogen den Wald, die breite Spur der Erntemaschine hat alles, was auf den Wegrändern wuchs, platt gemacht. Die historisch gewachsenen Sandwege und -pfade wurden als Rückgassen benutzt und sind zerstört. Neue Rückschneisen wurden brutal in den Wald getrieben.“ Vom Waldfeeling sei nicht mehr viel übrig. „Es ist nun an manchen Stellen eher ein Park.“ Noetzel vermisst vor allem die Fülle an alten, meterhohen Bäumen, die mit ihren Kronen ein dichtes Dach gebildet haben. Heute sind die Baumriesen zumeist nur noch vereinzelt anzutreffen. „Die gravierenden Folgen dieser Auslichtung sind jetzt zu sehen. Die Hitze dringt in den Wald ein und sorgt dafür, dass die Bäume für den Borkenkäfer wesentlich anfälliger sind. Nun muss erneut in den Wald gegangen werden, um die kranken Bäume zu fällen. Die Reserven des Waldes sind aufgebraucht!“

Mit dieser Meinung steht Noetzel nicht alleine da. Viele Botnanger haben dieselben Erfahrungen gemacht. Ihr Ärger ist groß. Noetzel hat einige Kommentare gesammelt. Da ist die Rede von „Gemetzel“, „Zerstörung“, „Naturfrevel“, „Raubbau“, „verstümmelt“, „ohne Sinn und Verstand“. Und: „Wir wohnen hier und wir wollen unseren schönen Wald erhalten beziehungsweise das, was davon übrig ist.“ Noetzel und einige andere Botnanger haben nach den Fällungen im Frühjahr 2018 die Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald gegründet und eine Petition ins Leben gerufen, die mehr als 2000 Unterstützer gefunden hat, ehe sie im März dieses Jahres an Oberbürgermeister Fritz Kuhn übergeben wurde. Mittlerweile haben mehr als 2500 Menschen das Papier unterschrieben. Die Forderung: Der kurzfristige Stopp der massiven Baumfällungen im Stuttgarter Wald und die eindeutige Priorisierung der Naherholung vor der wirtschaftlich begründeten und überzogenen Holzernte. Auf Großmaschinen soll beim Fällen der Bäume in der Regel verzichtet werden. Und Kahlschläge sollen definitiv der Vergangenheit angehören.

Der Waldbeirat wird sich bald konstituieren

Der Ruf nach einem Waldbeirat wurde laut und fand bei der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat Gehör. Im April wurde nun beschlossen, wie das Gremium aussehen soll, in dem auch Jörg Noetzel als Vertreter der Bürgerinitiative einen von insgesamt 26 Plätzen haben wird. Die Ziele des Beirats hat Bürgermeister Dirk Thürnau wie folgt definiert: Es sollen Strategien zur Waldbehandlung hinsichtlich Erholung, Ökologie, dem Wald als Lernort und Holznutzung besprochen werden. Dabei soll sichergestellt werden, dass alle Interessen gehört werden. Die Empfehlungen des Beirats werden von der Fachverwaltung geprüft und anschließend an den Gemeinderat weitergegeben.

„In der ersten vollen Amtsperiode (2019-2023) ist die Begleitung des gesamten Erarbeitungsprozesses der Forsteinrichtung (Waldstrategie) für die Laufzeit 2023-2032 ein wichtiges Thema. Außerdem soll im Beirat über die weitere Ausgestaltung der informellen Bürgerbeteiligung bei Waldthemen und über die Nutzung des Waldes als Lernort und Erholungsraum beraten werden“, sagt Thürnau.

Noetzel ist froh, dass es bald einen Waldbeirat geben wird, der zudem öffentlich tagt: „Das ist ein gutes Zeichen. Wir haben es geschafft, den Gemeinderat für dieses Thema zu sensibilisieren. Jetzt geht die Arbeit aber erst richtig los.“ Der Botnanger hofft darauf, dass in dem Gremium ernsthaft über die Zukunft des Waldes diskutiert wird und auch Experten wie der ehemalige leitende Forstdirektor aus Lübeck, Lutz Fähser, zu Wort kommen dürfen.

Reaktionen aus dem Gemeinderat

Im Grundsatz ist man sich im Gemeinderat einig: Noch vor der Sommerpause sollte der neue Waldbeirat gebildet werden, der sich dann intensiv mit der Zukunft des Forstes in der Landeshauptstadt auseinandersetzen soll. Dabei steht für die große Mehrheit der Lokalpolitiker schon heute fest, dass die wirtschaftliche Nutzung des Waldes zu vernachlässigen ist. Vielmehr soll der Naherholungswert gesteigert werden.

„Der Stuttgarter Wald steht vor großen Herausforderungen“, sagt Clarissa Seitz von Bündnis 90/Die Grünen. Das zentrale Thema sei sicherlich, wie die Wälder künftig forstlich bewirtschaftet werden sollen. „Dabei darf aufgrund der zentralen Lage in einem großen Ballungsraum nicht die Rolle des Waldes als Wirtschaftsbetrieb im Vordergrund stehen, sondern Naturschutz, Naherholung und der Beitrag des Waldes zum Stadtklima.“

Das sieht auch Matthias Oechsner (FDP) so: „Wir sind ja nicht unbedingt als Umweltschützer bekannt, aber der Wald als Wirtschaftsfaktor ist definitiv zu vernachlässigen.“ Ein Konzept wie es in Lübeck praktiziert und von der Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald vorgeschlagen wird, gefalle ihm sehr gut. Das Lübecker Modell wurde mit deutschen Umweltverbänden Anfang der 1990er-Jahre entwickelt. Die Bewirtschaftung der Wälder wurde so umgestellt, dass mit einem Minimum an Arbeitskraft, Energie und Kapital, ein möglichst gutes ökonomisches, ökologisches und soziales „Betriebsergebnis“ erreicht werden kann.

„Vom Wald wird die Stadt sicher nicht reich“, betont auch Konrad Zaiß (Freie Wähler). Die Naherholung müsse an erster Stelle stehen. Er wolle nun aber auch erst einmal abwarten, was im Waldbeirat besprochen wird. „Wir müssen die Bürger mitnehmen, aber brauchen auf jeden Fall auch die Einschätzung der Experten und Fachleute bei diesem Thema.“

Unter anderem auf die Expertise der Fachleute aus der Verwaltung verlässt sich auch Beate Bulle-Schmid (CDU): „Man kann nicht sagen, dass die Verwaltung bei diesem Thema riesige Fehler gemacht hätte. Beim bisherigen Wald-Konzept konnte nicht anders gehandelt werden.“ Sie könne aber die Aufregung in der Bevölkerung nachvollziehen. „Das sah teilweise schon brutal aus im Wald“, gibt die Christdemokratin zu.

Auch Bernd Klingler vom Bündnis Zukunft Stuttgart 23 (BZS23) sympathisiert mit den Bürgern: „Ich habe die Initiative immer unterstützt. Der wirtschaftliche Faktor darf nicht im Vordergrund stehen.“

Da kann auch Suse Kletzin (SPD) zustimmen: „Grundsätzlich bestehen bei diesem Thema innerhalb des Gemeinderats keine großen Differenzen. Die Freizeitfunktion des Waldes muss über der wirtschaftlichen Nutzung stehen.“ Die Stadt sei nicht darauf angewiesen, im großen Stil Bäume abzuholzen und zu verkaufen. Es werde künftig wohl eher darum gehen, wie naturbelassen der Wald sein soll.

Thomas Adler (SÖS/Linke-plus) formuliert es etwas überspitzt: „In einer Stadt wie Stuttgart, wo es täglich Diskussionen um Luft und Klima gibt, ist fast jeder Baum, der gefällt wird, einer zu viel.“