Bereits an den Haushaltsberatungen 2012/20013 sind die Bürger beteiligt worden. Foto: Alexandra Kratz

Heinrich Schneider hat viele Jahre die Stuttgarter Volkshochschule geleitet. Seit einigen Jahren widmet er sich als überzeugter Demokrat dem Stuttgarter Bürgerhaushalt. Entdeckt hat er dieses Prinzip der Beteiligung bei der Lektüre über Brasilien.

S-West - Als Heinrich Schneider zurückruft, ist er eben erst aus Berlin zurückgekommen. Mehrmals entschuldigt er sich, dass er sich erst jetzt meldet. Viel Zeit hat Schneider nicht, wie die meisten Ruheständler. Für sein Spezialthema Bürgerhaushalt nimmt er sie sich aber gerne. Beim Bürgerhaushalt können Bürger darüber abstimmen, wofür die Stadt Geld einsetzen und bei welchen Themen eher gespart werden sollte.

Von 1985 bis 2008 war Heinrich Schneider Direktor der Volkshochschule Stuttgart. Mit Beginn seines Ruhestandes suchte er sich neue Aufgaben. Zunächst wandte sich Schneider seinem ursprünglichen Interessensgebiet Südamerika zu. Er reist nicht nur gerne dorthin, sondern liest auch viel Literatur über südamerikanische Länder. Darüber kam er mit dem Thema Bürgerhaushalt in Berührung. „Das Instrument ist in Brasilien entstanden“, sagt Schneider. In Europa gebe es diese Möglichkeit der Teilnahme hauptsächlich in Spanien und Italien. In Deutschland existiere sie seit zehn Jahren. Rund 100 Kommunen bezögen hierzulande bei der Entscheidung über die Verwendung der Haushaltsmittel bereits die Bürger ein. In weiteren 100 werde darüber nachgedacht.

Mit dem Eintritt in den Ruhestand widmete sich Schneider nicht nur seinem langjährigen Hobby, sondern trat auch in die SPD ein. Seit 2008 ist er im Ortsverein West, inzwischen auch Bezirksbeirat im Stadtbezirk. Als SPD-Mitglied will er das Vertrauen der Bürger in die Politik zurückgewinnen und bestenfalls sogar stärken. Der Bürgerhaushalt sei ein Instrument, mit dem dies auf kommunaler Ebene erreicht werden könne. „Es können Missstimmungen gegen ‚die da oben‘ abgebaut werden“, findet der 69-Jährige, der seit 34 Jahren im Stuttgarter Westen lebt.

Die Politik werde dadurch transparenter

Der Bürgerhaushalt sei reizvoll, weil er nicht aus der so genannten „ersten Welt“ stamme, sagt Schneider. Er hat in der SPD angeregt, den Bürgerhaushalt in Stuttgart einzuführen. Dafür hatte er seinerzeit eine breite Zustimmung von allen Parteien im Bezirksbeirat bekommen. Im Jahr 2011 ist das Verfahren dann erstmals in Stuttgart durchgeführt worden. In diesem Jahr findet der zweite Durchgang für den Doppelhaushalt 2014/2015 statt. „Die Politik wird dadurch transparenter“, findet Schneider.

Aus seiner Sicht ist das Wort Bürgerhaushalt im Deutschen allerdings etwas irreführend: „Eigentlich ist es ja ein beteiligendes Haushaltsverfahren“, erklärt er den Unterschied. Dies bedeute, dass die Bürger nicht an die Stelle des Gemeinderats treten, sondern lediglich darüber abstimmen können, was ihre Wünsche für die Verwendung der Haushaltsmittel sind. Das Kommunalrecht schreibe die höchste Entscheidungsgewalt immer noch dem Gemeinderat zu, so Schneider.

Im März können die Stuttgarter zum zweiten Mal abstimmen. Viele Bürger wissen aber gar nicht, dass es dieses Instrument in der Landeshauptstadt überhaupt gibt. Beim ersten Durchgang für den Haushalt 2012/2013 haben lediglich 9000 Menschen mitgemacht, 1745 Vorschläge eingebracht und über diese abgestimmt. Um über das Instrument Bürgerhaushalt besser aufzuklären, hat Schneider den Arbeitskreis Bürgerhaushalt gegründet. Er selbst ist einer der beiden Sprecher dieses Arbeitskreises. Im Vorfeld der ersten Abstimmung 2011 habe es an der Volkshochschule Degerloch neun Veranstaltungen zum Thema Bürgerhaushalt gegeben. „Die Verwaltung war da sehr kooperativ und hat uns auch als Gesprächspartner akzeptiert“, so sein Fazit.

Jugendliche, Senioren und Migranten sollen sich beteiligen

Jetzt müsse der Bürgerhaushalt in Stuttgart noch bekannter werden. „Die Kämmerei hat dafür aber nicht die personellen Ressourcen“, weiß Schneider. Deshalb hat die Volkshochschule Stuttgart von Mitte Oktober bis Anfang Dezember Multiplikatoren in einem Lehrgang ausgebildet. 15 Bürger haben teilgenommen, jeder von ihnen fungiert nun als Ansprechpartner für ein bis drei Stadtbezirke. „Bisher hat noch keine andere Stadt Mentoren für den Bürgerhaushalt eingesetzt“, betont Heinrich Schneider. Über die Multiplikatoren sollen die Bürger mobilisiert werden, an dem Verfahren teilzunehmen. Gleichzeitig stehen sie für Fragen zur Verfügung und können von Schulen, Institutionen und Gruppen angefordert werden. Über diesen Weg hoffe man, besonders Jugendliche, junge Erwachsene, Senioren und Migranten zu erreichen, erklärt Schneider.

Aus seiner Sicht muss an dem Ablauf allerdings auch noch viel verbessert werden. „Letztes Mal wurde das Verfahren ja im Schnelldurchgang gestartet“, findet Schneider. Er hat sich seit der letzten Abstimmung viele Gedanken gemacht. Einiges wurde bereits umgesetzt. So wurde die Vorschlags- und Abstimmungsphase zeitlich getrennt. Zudem funktioniere das Verfahren besser, wenn es von einer breiteren Mehrheit der Bürger getragen werde, so Schneider. Deshalb soll es kein reines Online-Verfahren mehr sein. Viele Bürger würden sonst nicht erreicht. Dieses Mal sind auch die Bezirksvorsteher stärker in den Prozess eingebunden. Sie sind ebenfalls Anlaufstelle für die Bürger.

Wenn Schneider noch Zeit bleibt, dann fährt er auf Tagungen und tauscht sich mit Vertretern anderer Kommunen über den Bürgerhaushalt aus. „Es gibt bisher keinen Standard in den Gemeinden“, sagt er. Das sei allerdings gut so. Schließlich sei der Bürgerhaushalt ja ein so genanntes „lernendes Verfahren“.

Veranstaltungen zum Bürgerhaushalt in der Innenstadt

Idee
Beim Bürgerhaushalt werden die Bürger an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligt. Sie können vorschlagen, wo die Stadt sparen, wofür sie Geld ausgeben soll und wie sie Geld einnehmen könnte. Der Gemeinderat entscheidet über die Umsetzung.

Zeitplan
Im Januar beginnt die Multiplikatoren-Arbeit. Von 18. Februar bis 11. März ist die Internet-Plattform www. buergerhaushalt-stuttgart.de für Vorschläge freigeschaltet. Von 18. März bis 8. April kann abgestimmt werden. Es folgen Stellungnahmen der Fachämter und der Bezirksbeiräte. Im Juli werden die Top-100-Vorschläge dem Gemeinderat vorgelegt.

Multiplikatoren
Die Multiplikatoren-Schulung zum Bürgerhaushalt ist eine Gemeinschaftsaktion der Landeshauptstadt Stuttgart, der Stadtkämmerei und Stabsstelle für bürgerschaftliches Engagement, der Volkshochschule Stuttgart und dem Arbeitskreis Bürgerhaushalt.

Termine
In jedem Stadtbezirk finden Veranstaltungen statt, bei der die Bürger Wissenswertes über den Bürgerhaushalt und den städtischen Haushalt erfahren. Sie können dort bereits Vorschläge abgeben und diskutieren. S-Mitte: Mittwoch, 23. Januar, 18 Uhr, Kleiner Sitzungssaal im Stuttgarter Rathaus. S-West: Dienstag, 29. Januar, 19 Uhr, Bürgerzentrum West, Bebelstraße 22. S- Süd: Donnerstag, 24. Januar, 18.30 Uhr, Generationenhaus Heslach, Gebrüder-Schmid-Weg 13. S-Ost: Montag, 4. Februar, 18.30 Uhr, Bürgerservicezentrum Ost, Schönbühlstraße 65. S-Nord: Dienstag, 5. Februar, um 18.30 Uhr, Kleiner Sitzungssaal im Stuttgarter Rathaus

Bürger zum Haushalt, bitte http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mitbestimmung-buerger-zum-haushalt-bitte.64636b7b-51db-405c-a2d4-0716771daacd.html