Bestplatzierter Vorschlag für alle Innenstadtbezirke waren die Wagenhallen auf Platz 13. Foto: Achim Zweygarth

Gemessen an der Zahl der Einwohner, müssten die Ideen für die Bezirke im Talkessel im Bürgerhaushalt weit vorn stehen. Stattdessen finden sich nur wenige unter den Top 100. Initiativen am Stadtrand werben offenbar reger.

Das auffälligste Ergebnis des Bürgerhaushalts für die Innenstadtbezirke ist das Desinteresse ihrer Bewohner. Das dokumentiert sich an eindrücklichsten am Westen und Süden. In den Bezirken lebt fast ein Fünftel aller Stuttgarter. Aber unter den Top 100 der 3700 Vorschläge für den Bürgerhaushalt sind sie nahezu nicht vertreten. Der Grund ist schlicht: „Es fällt auf, dass Initiativen sich überwiegend in den äußeren Bezirken gründen“, sagt Volker Schaible, der die Stadtkämmerei und damit den Bürgerhaushalt leitet. Beispielhaft sind Vorschläge aus dem vergleichsweise kleinen Sillenbuch regelmäßig unter den ersten Zehn im Bürgerhaushalt zu finden.

Gegen lokale Initiativen in vergleichsweise ländlich strukturierten Bezirken sind sogar eingespielte Organisationen chancenlos. „Der Naturschutzbund, der Gesamtelternbeirat oder die Initiative Stolpersteine waren diesmal stark präsent“, sagt Schaible. Den ersten Platz belegte trotzdem der Wunsch, Klassenzimmer eines Möhringer Gymnasiums zu sanieren. Für Innenstadtbewohner, die ihre Ideen zur Abstimmung gestellt haben, bleibt allerdings ein statistischer Trost: Das letzte Wort spricht der Gemeinderat. Der hat vor zwei Jahren 149 Anträge aus dem Bürgerhaushalt beschlossen. 108 davon standen nicht unter den 110 bestbewerteten. Nicht einmal Platz zwei befürworteten die Stadträte. Was aber wohl banale Geldgründe hatte. „Das war die Senkung der Grundsteuer“, sagt Schaible.

Aus der Stadtmitte haben es sieben Ideen unter die bestbewerteten 100 geschafft. Allerdings lässt sich über den Sinn manches Vorschlags streiten. Auf Platz 27 – damit zuoberst – steht die Forderung, kein weiteres Milaneo zu bauen. Daran hat bisher niemand gedacht. Das Betteln auf der Königstraße zu verbieten oder das Rauchverbot in der Klettpassage durchzusetzen, fällt in eine ähnliche Kategorie. Das Rauchen in Bahn-Passagen ist verboten. Bettler dürfen nur still um eine Gabe bitten.

Der Marktplatz ist derzeit tot

Diese Anträge hält die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle „für ein bedauerliches Warnsignal an die Verwaltung, dass ein Vollzugsdefizit besteht“. Ähnlich bewertet sie den Vorschlag, ein Café am Marktplatz zu eröffnen. Den zu verwirklichen, ist der Stadt allein mangels einer passenden Immobilie unmöglich. Aber der Marktplatz „ist tot“, sagt Kienzle, „es gibt schöne Planungen, ihn zu beleben, aber die liegen in der Schublade“. Ihr Lieblingsvorschlag ist, ein Fahrrad-Parkhaus am Hauptbahnhof zu bauen. Er steht auf Platz 62. Knapp dahinter folgen die Forderungen, das Bohnenviertel besser ans Zentrum anzubinden und öffentliche Toiletten wiederzueröffnen. Wofür bei der Bezirksvorsteherin samt Bezirksbeirat niemand werben muss. Beides sind alte Forderungen der Lokalpolitiker.

Für den nächsten Bürgerhaushalt hat Veronika Kienzle ihren eigenen Vorschlag. „3700 Eingaben kann niemand lesen“, sagt sie, „es wäre besser, die Verwaltung würde bündeln.“ Statt über jeden Radweg, möge allgemeiner über eine Schlagzeile abgestimmt werden wie „Radwege in der Innenstadt verbessern“.

Die Hundetüten auf der Karlshöhe werden bereitgestellt

Im Süden ist zumindest die Beteiligung am Bürgerhaushalt gestiegen. In diesem Jahr sind wesentlich mehr Vorschläge eingegangen als beim letzten Mal. Aber lediglich ein Vorschlag hat es unter die ersten 100 geschafft. In diesem wünschte sich ein Bürger, die „Zacke“-Kapazitäten im Frühling und Sommer deutlich zu erhöhen. Der Bezirksvorsteher Raiko Grieb ist mit dem Ergebnis in seinem Stadtbezirk dennoch zufrieden. „Ich finde es schön, dass die Beteiligung gestiegen ist“, sagt er. Grieb ist davon überzeugt, dass dies auf das Engagement von Multiplikatoren und des Bezirksbeirats zurückgeht.

Grieb hält den Bürgerhaushalt insgesamt für ein wichtiges Instrument der Bürgerbeteiligung. Er müsse sich allerdings eben peu à peu weiter etablieren und bekannter werden. Auch wenn sich inzwischen mehr Bürger beteiligen, ist eine Quote von 3,5 Prozent im Süden extrem gering. Top-Thema ist – wie in der gesamten Innenstadt – der Verkehr, ebenso wie der Wunsch nach mehr Grünflächen und mehr Sauberkeit. „Da muss die Politik wirklich auch noch etwas tun“, so Grieb. Direkt im Süden sollen vor allem zwei Dinge konkret in naher Zukunft angegangen werden. So soll der Marienplatz baldmöglichst mit mehr Sitzgelegenheiten ausgestattet werden. Das hatten zahlreiche Bürger befürwortet. Laut Grieb sitzen die Jüngeren dort zwar gerne auf den Treppen, den Älteren ist das allerdings zu unbequem. Und um den Wunsch nach Hundetüten auf der Karlshöhe, den zahlreiche Bürger geäußert hatten, werde man sich ebenfalls rasch kümmern, verspricht Grieb.

Vorschläge im Westen zeigen nichts Neues auf

Reinhard Möhrle, Bezirksvorsteher im Westen, findet den Begriff „Bürgerhaushalt“ viel zu hochtrabend: „Es ist mehr eine Mitwirkung der Bürger. Über den Haushalt entscheidet der Gemeinderat. Und das hat auch seine Berechtigung.“ Das Instrumentarium eines Bürgerhaushalts sei wenig repräsentativ, wie schon der Umstand belege, dass Vorschläge aus den Außenbezirken mit ihrer engeren Vernetzung und besseren Lobby ganz oben auf der Hitliste rangierten und die Innenstadtteile weit unten: „Ich habe auch keine Vorschläge gelesen, die etwas großes Neues aufzeigen.“

Viele der Themen seien im Bezirksbeirat bereits angesprochen worden – beispielsweise die Sanierung der westlichen und östlichen Seite des Feuerseeufers, nachdem bereits das Südufer umgebaut wird. Manche Forderung fielen gar nicht in den Zuständigkeitsbereich des Stadtbezirks. Außerdem fehle in dem Forum das Für und Wider: Wenn man etwa in einem Park ein Hundeklo fordere, dann müsse das dort an anderer Stelle abgeknapst werden.

Ist also das ganze Kompendium mit Vorschlägen samt Bewertungen bloß teure Makulatur? „Nein“, widerspricht Möhrle. Für ihn als Lokalpolitiker sei es schon ein brauchbares Instrumentarium: „Man kann daraus ablesen, was den Bürgern wichtig ist.“ Leitlinien oder gar Handlungsdirektiven ließen sich daraus zwar gewiss nicht ableiten, aber „der Bürgerhaushalt ist ein Fundus, aus dem der Bezirksbeirat schöpfen kann“.

Im Stuttgarter Osten
hat das Interesse am Bürgerhaushalt im Vergleich zu den Vorjahren nach Einschätzung der Bezirksvorsteherin Tatjana Strohmaier etwas zugenommen: „Es freut mich sehr, dass wir das steigern konnten“, sagt sie. Mehr als 110 Vorschläge für den Stadtbezirk S-st gingen ein, die Bestplatzierten waren die Forderung zum Kauf der Villa Berg sowie der Wunsch nach einer Wiederbelebung des Pavillons im Unteren Schlossgarten.

Im Norden ist die Bezirksvorsteherin Sabine Mezger nicht zufrieden mit dem Ausgang des Bürgerhaushalts. Es gab zwar mehr Vorschläge, nämlich genau 100 und damit mehr als 2013 (78) und 2011 (40). Aber es haben weniger Menschen über die Vorschläge abgestimmt: 989 waren es, also etwa 3,9 Prozent der Bevölkerung im Bezirk, während es 2013 noch 1145 Bürger waren (4,6 Prozent). „Es ist bedauerlich“, resümiert Sabine Mezger. Auf den Fildern gebe es offensichtlich eine engagierte Bürgerschaft, die abstimme. „Bei uns scheint das noch nicht angekommen zu sein“, sagt Mezger, die nach eigenen Angaben kaum von Bürgern auf den Bürgerhaushalt angesprochen worden ist. „Wenn darüber gesprochen wurde, war ich diejenige, die dafür geworben hat.“ Sie sei nun ein „kleines bisschen ratlos“, was man tun könne: „Wir haben viel informiert, aber irgendwie hat es nicht gereicht.“

Bestplatzierter Vorschlag aus dem Norden ist die Rettung der Wagenhallen auf Platz 13. Danach kommt lange Zeit nichts – auf Platz 124 liegt der Wunsch nach bezahlbaren Wohnungen auf den Flächen, die durch Stuttgart 21 frei werden, außerdem sind unter den ersten 200 bis 300 auch Vorschläge zu neuen Radwegen. Weit abgeschlagen sind der Rückbau der Brenzkirche (Platz 1376), der Ruf nach einem Bürgerhaus für den Norden (Platz 1970) und die Neugestaltung der Doggenburg-Kreuzung (Platz 2077). Für letztere – schon lange ein heißes Thema im Bezirk – waren Anwohner, Schüler und Eltern der umliegenden Schulen auf Stimmenjagd gegangen – offensichtlich erfolglos.