Der Bundesrat hat das Bürgergeld gestoppt. Foto: AFP/John Macdougall

„Ich habe selber als junges Mädchen erlebt, wie sich Arbeitslosigkeit in der Familie anfühlt“, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). „Und das fühlt sich nicht gut an.“

Es ist die Sondersitzung des Bundesrats am Montag, in der es um den Gesetzentwurf der Ampelkoalition zum Bürgergeld geht. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) berichtet, ihr Vater habe seit seinem 16. Lebensjahr hart gearbeitet, als Schlosser am Bau. Die Arbeitslosigkeit habe ihre Familie als Folge der Wende getroffen. Auch heute würden Menschen unverschuldet arbeitslos, sagt Schwesig und appelliert an die Bundesländer, dem Bürgergeld-Gesetz zuzustimmen.

Die Bedeutung des Wortes „eigentlich“

Am Ende der Sitzung reicht es dennoch nicht. Kein einziges Land, in dem die Union mitregiert, stimmt dem Gesetz zu, mit dem Hartz IV zum Bürgergeld werden soll. Das ist – gemessen an der politischen Debatte der vergangenen Wochen – keine Überraschung. Das zeigt sich auch an einem Wort, das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zuvor in seiner Rede, wohl eher aus Versehen, benutzt hat. „Eigentlich“, so die Formulierung des Ministers, wolle er die Länder bitten, direkt zuzustimmen. Die Botschaft des Arbeitsministers: Wenn dies nicht gelinge, „ist meine Hand zur Lösung ausgestreckt“. So ist es nun gekommen.

Das bedeutet: Die Bundesregierung ruft den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag an. Der soll möglichst schnell zusammenkommen. Wird das Gesetz in diesem Monat aber nicht mehr beschlossen, gerate der gesamte Zeitplan gefährlich ins Rutschen, heißt es von allen Seiten.

Regierung ruft Vermittlungsausschuss an

Das wäre für die Menschen, die in der Grundsicherung sind, ein großes Problem. Denn das Gesetz zum Bürgergeld umfasst nicht nur Änderungen etwa zu Fragen der Arbeitsvermittlung. Mit ihm soll auch die Erhöhung der Grundsicherung auf 502 Euro ab dem 1. Januar auf den Weg gebracht werden.

Dass diese Erhöhung angesichts der Inflation dringend notwendig ist, darüber besteht Einigkeit zwischen der Ampelkoalition auf der einen und der Union auf der anderen Seite. Die Union würde am liebsten erst einmal nur die Regelsatzerhöhung beschließen. Das kommt für die Ampelkoalition jedoch nicht infrage. Sozialdemokraten, Grüne und FDP können sich ausrechnen, dass der Rest des Gesetzes in diesem Fall nicht mehr kommen würde.

Der Kern der Reform

Insbesondere die SPD will den Kern der Reform auf jeden Fall durchsetzen: Der sogenannte Vermittlungsvorrang soll wegfallen. Es soll also nicht komme, was wolle in irgendeinen Job vermittelt werden. Stattdessen soll es verstärkt um Aus- und Weiterbildung gehen. Das sei in Zeiten des Fachkräftemangels unbedingt geboten, insistieren die Sozialdemokraten.

Die Union beharrt indes darauf, es dürfe bei den Menschen im Land nicht der Eindruck entstehen, nicht zu arbeiten sei lohnenswerter, als zu arbeiten. Als Kritikpunkte werden das hohe Schonvermögen von 60 000 Euro und der Umgang mit Sanktionen bei Verletzung der Mitwirkungspflichten genannt, der nach den Ampelplänen künftig etwas zurückhaltender erfolgen soll.

Die andere Debatte

Die Debatte ist im Bundesrat allerdings weit weniger emotional aufgeladen, als sie es zuvor im Bundestag und in der Öffentlichkeit war. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sagt ausdrücklich, es gehe nicht um Machtspiele, sondern darum, die Reform zu einem guten Ergebnis zu bringen. Aus den Ampelfraktionen ist zu hören, eine Einigung sei gut möglich, wenn die Länder wirklich ihre eigenen Interessen und die der Menschen vertreten sollten – und nicht stur dem Kurs von CDU-Chef Friedrich Merz folgten, dem es um Parteipolitik gehe.

Sozialverbände warnen unterdessen, eine mögliche Verzögerung der Erhöhung der Grundsicherung bedrohe zahlreiche Menschen in ihrer Existenz. „Wer jetzt nicht schnell und konsequent handelt, nimmt in Kauf, dass Armut weiter steigt und die Not der Menschen zunimmt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, unserer Zeitung. Würde sich eine Einigung bei der Grundsicherung bis ins kommende Jahr ziehen, warnt Schneider, drohe der Demokratie eine echte Legitimationskrise.