Die Bundesregierung verschärft bei der Neuen Grundsicherung die Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger. Leistungsminderungen sind in Baden-Württemberg bisher die Ausnahme.
Mehr Mitwirkungspflichten – schärfere Sanktionen. Auf diesen Nenner haben sich Union und SPD bei der Neuen Grundsicherung für Arbeitsuchenende verständigt. Wie sieht die Praxis der Jobcenter aus? Zum Umgang mit dem Bürgergeld liefern aktuelle Zahlen und Einschätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Baden-Württemberg einen Überblick.
Wie viele Menschen beziehen Bürgergeld? Im Juli 2025 gab es nach einer aktuellen Hochrechnung rund 481 000 Regelleistungsberechtigte im Land. Zu fast drei Vierteln (rund 347 000) handelt es sich um sogenannte erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das sind 38 700 (13 Prozent) mehr als im Juli 2021 – insbesondere wegen der Betreuung ukrainischer Geflüchteter.
Zudem wurden rund 134 000 nicht erwerbsfähige Bürgergeldempfänger registriert – zumeist Kinder unter 15 Jahren.
Welchen Anteil haben Geflüchtete? Im April hatte knapp jeder fünfte erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Land eine ukrainische Staatsangehörigkeit (rund 68 200). Seit Anfang dieses Jahres sinkt die Zahl aber im Vergleich zum Vorjahr: Im April 2024 waren noch rund 3000 ukrainische Bürgergeld-Empfänger mehr gemeldet. Gut jeder siebte Leistungsberechtigte stammt aus einem der acht wichtigsten Asylherkunftsländer (ca. 54 600); diese Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert.
Der „Job-Turbo“ zündet, lautet die Botschaft der BA, denn die Zahl der beschäftigten Geflüchteten steigt kontinuierlich. Im Mai waren rund 38 000 Ukrainer und 74 000 Personen aus den „Top-8-Asylherkunftsländern“ sozialversicherungspflichtig, weitere 7600 und 11 900 ausschließlich geringfügig beschäftigt. Die Beschäftigungsquote der Ukrainer betrug zuletzt 36,5 Prozent und die der anderen Geflüchteten 50,9 Prozent.
Welche Personengruppen sind betroffen? Im Juli hat rund jeder 18. Haushalt in Baden-Württemberg Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen (5,7 Prozent). Das Risiko, hilfebedürftig zu sein, hängt auch von der Kinderzahl ab. So weisen nach aktuellsten Daten für März Paare ohne Kinder mit 1,6 Prozent die niedrigste Quote auf. Alleinerziehende haben das weitaus höchste Risiko, auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen zu sein: Ihre Hilfequote beträgt gut 28 Prozent.
Mit der Zahl der Kinder wächst auch die Hilfebedürftigkeit erheblich: Bei Paaren mit drei und mehr Kindern liegt die Quote bei rund zehn Prozent und bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern bei fast 30 Prozent.
Sind alle Leistungsempfänger arbeitslos? Gut jeder fünfte Bürgergeld-Empfänger arbeitet. Diese „Aufstocker“ erzielen nicht genügend Einkommen, um ihre Wohnung zu bezahlen, oder arbeiten in Teilzeit, weil sie Angehörige betreuen. Bezieher von Bürgergeld müssen somit nicht arbeitssuchend sein. Es kann auch ergänzend zu Erwerbseinkommen und anderen Einkünften bezogen werden. Im April 2025 waren 43 Prozent (fast 153 000) aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Land arbeitslos. Somit erhielten 57 Prozent (201 000) Bürgergeld-Leistungen, ohne arbeitslos zu sein.
Dabei zählen vor allem drei Gründe, nicht arbeitslos zu sein: Für 18 Prozent ist eine Arbeit nicht zumutbar, weil sie kleine Kinder betreuen, noch zur Schule gehen, studieren oder eine Ausbildung machen. Elf Prozent sind nicht arbeitslos, weil sie einer ungeförderten Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Wochenstunden nachgehen. 13 Prozent nehmen an einer Arbeitsmarktmaßnahme oder an einem Integrationskurs teil.
Wie hoch ist die Motivation zur Mitarbeit? „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung stärken und dazu beitragen, den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten“, sagt die Regionalchefin der Bundesagentur für Arbeit, Martina Musati. Dazu zähle, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern – so das Gesetz. „Mehr als 97 Prozent der Leistungsbezieher kommen dieser Verpflichtung grundsätzlich nach.“
Musati hat vormals das Jobcenter München, eines der größten bundesweit, geleitet. Die Motivation der Betroffenen könne aufgrund vieler Misserfolgserlebnisse sinken, führt sie aus. Häufig seien es mehrere Vermittlungshemmnisse, die einer Arbeitsaufnahme im Weg stehen: gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Qualifikationen oder fehlende Kinderbetreuung etwa.
Wie wirksam sind Sanktionen? Grundsätzlich, so die Chefin der BA-Regionaldirektion, „setzen die Jobcenter auf Kooperation und Augenhöhe mit den Kundinnen und Kunden“. Diese Praxis habe sich bei der überwiegenden Zahl der Leistungsberechtigten bewährt. 2024 haben die Jobcenter bei 2,5 Prozent – rund 11 500 Leistungsbeziehern – eine Sanktion ausgesprochen. Auch 2025 seien die Zahlen kaum höher.
Mehr als drei Viertel der Sanktionen erfolgen aufgrund unentschuldigten Fernbleibens von Beratungsterminen. Die Meldeversäumnisse seien „mehr als eine Nachlässigkeit“: Der Integrationsberatungsprozess werde verzögert und der Bearbeitungsaufwand erhöht – zudem würden andere Arbeitssuchende, die dringend auf einen Termin warten, benachteiligt.
Studien zufolge wirke sich allein die Möglichkeit der Sanktionierung positiv auf die Arbeitssuche aus, so Musati. Dennoch befürwortet sie im Einklang mit den Koalitionsbeschlüssen härtere Sanktionen. Bei Terminen im Jobcenter sei es richtig, „die Verbindlichkeit zu erhöhen, damit eine Beschäftigungsaufnahme schnell und nachhaltig gelingt“.
Wie groß ist die Gruppe der Verweigerer? Heiß diskutiert wird über die sogenannten Totalverweigerer. „Die Anzahl der Menschen, die tatsächlich nicht mitwirken und ihren Pflichten nicht nachkommen, ist sehr gering“, betont Musati. Weniger als zehn Prozent aller Sanktionen entfallen auf Fälle, in denen die Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung verweigert wird. Das sind beispielsweise von Januar bis Mai 1019 Fälle – bei 352 842 erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehern im Mai. „Die kleine Gruppe, die nicht mitwirkt, darf nicht den Blick dafür versperren, dass der weit überwiegende Teil arbeiten und den Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten möchte“, rückt die BA-Regionalchefin die aktuelle Debatte zurecht.
Welchen Stellenwert hat der kriminelle Sozialleistungsbetrug durch Clans? Auch dies ist kein Massenphänomen: Im Jahr 2024 wurden laut der BA deutschlandweit insgesamt 421 Fälle von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch erfasst – davon entfielen 43 Fälle auf Baden-Württemberg, jeweils verbunden mit einer Strafanzeige. „Die Jobcenter gehen jedem Verdachtsfall auf Leistungsmissbrauch konsequent nach“, sagt Musati. Der automatisierte Datenabgleich sei dabei eines der wichtigsten Instrumente. Hinzu kämen weitere Prüfmechanismen und bei Bedarf auch Vor-Ort-Besuche, um Verdachtsfälle aufzuklären. „Wir begrüßen es, wenn der gesetzliche Rahmen für die Bekämpfung von Leistungsmissbrauch verbessert wird – etwa durch einen Datenaustausch mit anderen Akteuren.“