Das alte Enßle-Gebäude, ein Parkplatz und drei aufgelassene Gärten sollen eingeebnet und neu bebaut werden. Foto:  

Soll das Enßle-Areal mit einem Geschäfts- und Wohngebäude bebaut werden? Am Sonntag liegt die Entscheidung darüber in der Hand der Vaihinger Bürger.

Vaihingen/Enz - Wer am Sonntag in Vaihingen „Ja“ sagt, meint damit „Nein“ zur Weiterentwicklung einer Industriebrache. So will es die verklausulierte Bürgerentscheid-Frage „Sind Sie dafür, dass in den nächsten drei Jahren eine Änderung des Bebauungsplanes Köpfwiesen unterbleibt?“. Votieren knapp 4600 Vaihinger – die benötigten 20 Prozent aller Stimmberechtigten – mit „Ja“, wird der von Verwaltung und Gemeinderat propagierte Neubau eines Geschäfts- und Wohngebäudes vor den Toren der Kernstadt, für das schon ein Investor bereit steht, mindestens für die nächsten drei Jahre auf Eis gelegt. Oder auch ganz gecancelt.

So oder so: In der Entscheidung kulminiert eine Auseinandersetzung, die zuletzt ein Erregungspotenzial entfachte, das in der jüngeren Geschichte der Stadt seinesgleichen sucht. „Was wir uns als Gemeinderat alles anhören müssen, geht zum Teil unter die Gürtellinie“, stöhnt Erich Hangstörfer, Vorsitzender der CDU-Fraktion. Das Kommunalparlament steht – mit Ausnahme eines Stadtrates – geschlossen hinter der Planung. Ein Fakt, der solchen Seltenheitswert hat, dass die Vorsitzenden aller Fraktionen ihn jüngst sogar zum Anlass für eine Pressekonferenz zur Bekräftigung ihres Anliegens nahmen. Sie sehen das Projekt als Initialzünder und Impulsgeber für die Innenstadt. „Wir wollen keinen Stillstand, sondern Entwicklung“, fasst es Freie-Wähler-Chef Eberhard Zucker zusammen.

Hehre Erwartungen

Erfüllen soll diese hehren Erwartungen ein am Fuße der Altstadt gelegener Bau mit rund 1850 Quadratmeter Ladenfläche und bis zu 15 Wohnungen. Dafür will die Stadt die Reste der einstigen Feinlederfabrik Enßle abreißen. Zur Zierde gereicht Vaihingen die Industriebrache im Eternit-Look am Stadteingang ohnehin nicht.

Doch das Gebäude liegt an einem neuralgischen Punkt: auf den Köpfwiesen in der Enzaue, die den Vaihingern seit rund 700 Jahren als Nutzgärten dienen. Noch heute firmieren sie unter „Bürgergärten“ – von denen der Großteil der Bürgerschaft aber nichts habe, wie die Grünen-Fraktionsvorsitzende Susanne Schwarz-Zeeb spitz anmerkt: „Dort hegen vor allem ein paar wohlsituierte Bürger ihr privates Grün.“ Zwei Drittel der Gärten gehören der Stadt und sind verpachtet, der Rest ist in Privatbesitz. Für das Wohn- und Geschäftshaus sollen drei der Gärten – sie sind bereits aufgelassen – geopfert werden.

Bürgerinitiativen werfen Gemeinderat und Verwaltung mangelnde Transparenz vor

Das hat eine Gruppe von Vaihingern auf den Plan gerufen, die sich in der BürgerGärtenBewegung (BGB) zusammengeschlossen hat und sich mit Online-Auftritt, Flugblättern, Stammtischen, Marktplatzgesprächen und Leserbriefen vernehmlich artikuliert. Sie kritisiert nicht nur die ihrer Ansicht nach zu massive Bebauung in einem Naherholungsraum. Sie befürchtet, dass der Bau den kränkelnden Innenstadthandel nicht ergänzt, sondern weiter ausblutet. „Wir sehen die Gefahr, dass die Kunden dort aussteigen, einkaufen und wieder nach Hause fahren“, sagt die BGB-Sprecherin Susan Brooks-Dammann. Das Gebäude biete keine Verknüpfung mit der Innenstadt und verschandele den pittoresken Blick auf Schloss Kaltenstein. Auch sieht die BGB an dem Standort Probleme wegen des Hoch- und Trinkwasserschutzes und der Belüftungsschneise für die Altstadt. Zudem hält sie das Vorhaben für kontraproduktiv in Hinsicht auf die Gartenschau-Bewerbung – was Stadt und Gemeinderat just andersherum sehen. „Wenn wir die Gärten so erhalten, wie sie sind, brauchen wir keine Gartenschau“, kommentiert Oberbürgermeister Gerd Maisch. Sie seien der Öffentlichkeit ja nicht zugänglich und die Enßle-Baracke wahrlich kein Gartenschau-Blickfang. Kurz vor dem Bürgerentscheid hat sich zudem eine weitere Bewegung, die Unabhängigen Vaihinger Bürger, formiert. Sie sieht sich laut der Sprecherin Karin Blessing als Sprachrohr für die Vaihinger, denen bei den Bebauungsplänen unwohl ist, die sich aber „von den Aktivisten der BürgerGärtenBewegung nicht vertreten fühlen“. Auch diese Initiative führt Umwelt-, Klima- und stadtgeschichtliche Gründe ins Feld: „Es gibt kaum noch einen Ort, an dem Bürgergärten in einer solchen Geschlossenheit erhalten sind wie in Vaihingen“, sagt Blessing, die über die historische Anlage geforscht und publiziert hat.

Eigene Entwicklungspläne nicht transparent genug erklärt?

Vertreter beider Gruppierungen werfen Verwaltung und Gemeinderat vor, die Bürgerschaft nicht transparent genug in die Entwicklungspläne eingebunden zu haben. Ein Argument, das den Rathauschef aufseufzen lässt. „Zweieinhalb Jahre lang haben wir das Konzept in zahlreichen öffentlichen Sitzungen auf den Weg gebracht, und zweieinhalb Jahre lang hat es fast niemanden interessiert“, ärgert er sich. Für ihn steht fest: Das Vorhaben würde den Einzelhandel ergänzen und somit stärken, ohne das Ziel Gartenschau zu schwächen.

Einig sind sich die Opponenten nur in einer Hoffnung: Dass möglichst viele Bürger zur Abstimmung gehen, damit das Ergebnis ansatzweise repräsentativ ausfällt.