Das schnelle Mobilnetz kommt, die Regierung will die Angst vor Gesundheits- und Umweltgefahren nehmen – zum Beispiel mit dem Dialogformat „Deutschland spricht über 5G“. So lief der Auftakt.
Berlin - Waschkörbeweise kommen die Protestschreiben laut Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) im Bundeskanzleramt an. „Stoppt 5G“ steht auf den Postkarten, in Briefen wird schon mal behauptet, das Coronavirus werde über das neue Mobilfunknetz übertragen.
Wie groß die Skepsis gegenüber der Technik ist, wissen sie in der Bundesregierung schon länger – der für die digitale Infrastruktur zuständige Minister Andreas Scheuer (ebenfalls CSU) weiß zu berichten, dass das Aufstellen eines neuen Funkmasts wegen des Widerstands vor Ort in Deutschland durchschnittlich 18 Monate dauert und in Österreich nur vier. Also nahm sich die Regierung bereits vor einem Jahr in ihrer Mobilfunkstrategie vor, verstärkt auf Aufklärung, Dialog und Transparenz zu setzen.
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Virtuelle Fragestunde zu 5G
Den Auftakt der Reihe „Deutschland spricht über 5G“ bildete am Dienstagabend eine virtuelle Fragestunde mit Scheuer und seiner für Umwelt und Strahlenschutz zuständigen Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD). Beide warben für die Chancen, die in der neuen Technologie stecken.
Schulze erzählte, dass Streaming im Netz der Zukunft sehr viel energieeffizienter und damit „deutlich klimaschonender“ sein und datengestütztes Landwirtschaften mit weniger Düngemittel wie Insektengift auskommen wird. Scheuer stellte das autonome Fahren und die medizinische Versorgung auf dem Land heraus, da beispielsweise Echtzeitdaten eines Patienten schon während der Krankenwagenfahrt an eine weiter entfernte Klinik übermittelt werden können. Dann bemühte Scheuer noch ein Beispiel mit Drohnen und einer Hochzeitstorte, dem auch die Moderatorin Tanja Samrotzki nicht ganz folgen konnte.
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Von toten Bienen und toten Vögeln
Beherrscht wurde die Veranstaltung aber von den Bedenken der Zuschauer im Netz, die auf der Seite www.deutschland-spricht-ueber-5g.de, via Facebook oder Twitter unter #Dspricht5G Fragen stellten und auch weiter stellen können. Die mögliche Gefahr für Tiere und Insekten spielte eine Rolle. „Ich weiß, dass es diese Gerüchte gibt“, antwortete die Ministerin und verwies darauf, dass es dazu keine wissenschaftlichen Belege gebe: „Das sind keine Fakten.“
Ein Diskussionsteilnehmer hakte nach, warum dann in der Nähe von Mobilfunkmasten „Bienen tot vom Himmel fallen“. Schulze legte nach mit einem Beispiel aus Den Haag, das im unter 5G-Kritikern im Netz die Runde machte. Mehrere tote Vögel, die nahe eines Masts am niederländischen Regierungssitz aufgefunden worden waren, hatten zuvor giftige Beeren gegessen, wie eine anschließende Untersuchung feststellte.
Sorgen wegen Strahlungswirkung
Noch größeren Raum nahm freilich die Strahlungswirkung auf den Menschen ein. Per Video eingespielt wurde eine Frau, die wissen wollte, warum Menschen, die besonders sensibel auf Elektrosmog reagieren „ausgegrenzt“ würden. In diesem Fall antwortete Inge Paulini, die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz. Sie nahm die gemeldeten Beschwerden „sehr, sehr ernst“, sagte aber auch, dass es der Forschung bisher „nicht gelungen“ sei, die Ursache der eher unspezifischen Symptome auf den Mobilfunk zurückzuführen.
Ganz allgemein geht für sie davon keine Gefahr aus: „Wir haben Grenzwerte, die uns sicher schützen und unterhalb dieser Grenzwerte wurden bis heute keine gesundheitlichen Auswirkungen bewiesen.“ Auf eine weitere Frage, warum potenziell stärker gefährdete Gruppen wie Kinder oder Senioren nicht mehr geschützt würden, betonte Paulini, die Grenzwerte seien bereits auf diese abgestimmt – zudem könne der exakte Standort eines Masts von Behörden und Kommunen „vor Ort mitgestaltet“ werden.
Längst nicht alle Zuhörer überzeugt
Überzeugt waren davon noch längst nicht alle. Warum es keine Technikfolgenabschätzung vor dem bereits beschleunigten Aufbau der 5G-Infrastruktur gegeben habe und nun eine Art offener Feldversuch auf Kosten der Gesundheit durchgeführt werde, lautete eine der Beschwerden – schließlich können laut der Telekom seit Juli bereits rund 40 Millionen Menschen Zugriff auf das 5G-Netz.
Diese Kritik konnte wiederum Achim Enders nicht verstehen, der als Professor am Institut für Elektromagnetische Verträglichkeit der Technischen Universität Braunschweig lehrt und stellvertretender Vorsitzender der Strahlenschutzkommission ist. Er stellte klar, dass „ich mich absolut weigere, von einem unkontrollierten Flächenversuch zu sprechen“. Es habe viel Forschung zu dem Thema gegeben, es würden bereits die Auswirkungen höherer Mobilfunkfrequenzen untersucht, die noch gar nicht freigegeben seien. Den indirekten Vorwurf, er könne für diese Aussage von der Bundesregierung bezahlt worden sein, konterte er mit dem Hinweis, dass es sich bei der Arbeit in der Strahlenschutzkommission um eine ehrenamtliche Tätigkeit handelt.
Publikum zum Teil sehr tief im Thema
Das Publikum hat sich zum Teil tief in das Thema eingegraben. Ein Zuschauer fragte, warum eine US-Studie und Veröffentlichungen, die bei intensiverer Mobilfunkbestrahlung auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuteten und mehr als nur thermische Strahleneffekte nachgewiesen haben wollen, durch das Bundesamt keine Erwähnung findet. Eine kleine Erhöhung der Körpertemperatur nämlich lösen die Funkwellen auf jeden Fall aus, daran orientieren sich auch die Grenzwerte, laut Paulini kann der menschliche Körper wie etwa beim Sport gut mit dieser leichten Erwärmung umgehen.
Man schaue sich die gesamte Bandbreite der Erkenntnisse an, von denen einzelne in weiterführenden Versuchsanordnungen eben nicht bestätigt worden seien. Gelänge dies doch, wäre es Enders zufolge „nobelpreiswürdig“ – im übrigen wäre es gar nicht mehr so leicht, Wissenschaftler für weitere Studien zu gewinnen, weil sie sich keine großen neuen Erkenntnisse mehr erwarten.
„Müssen wir auswandern?“
Darauf folgte der Vorwurf, dass die zuständigen Schweizer Behörden die Stand der Wissenschaft umfänglicher darstellten als die deutschen. Überhaupt kam im Onlineforum auch am Tag danach zur Sprache, dass mehrere andere Staaten wie beispielsweise Frankreich WLAN in Kindergärten verboten haben. „Weshalb schützt man uns nicht wie in anderen Ländern?“ fragt die Nutzerin Julia: „Wird es strahlungsfreie Räume geben oder müssen wir auswandern?“
Minister Scheuer bat gegen Ende darum, auch die Chancen zu sehen: „Wir müssen Deutschland modern halten.“ In der Diskussion spielte dieser technologische Fortschritt so gut wie keine Rolle. Der neue Bürgerdialog war allerdings auch alles andere als eine Massenveranstaltung – dem Livestream folgten auf den verschiedenen Kanälen nur wenige hundert Personen.