Arno Brekers Wagner-Büste in Bayreuth Foto: dpa

Der bunt-beliebige Bayreuther „Ring“ des Regisseurs Frank Castorf dürfte rasch vergessen werden. Interessanter sind die Zuwächse im Bücherregal – von einer Abhandlung über Wagner-Regie bis zur psychoanalytischen Studie.

Stuttgart - Ab in die Tonne! Brünnhilde hat den Ring, der so viel Unheil in die Welt brachte, ins Feuer geworfen. Nun sitzt sie stumm daneben, und hinter ihr, auf einer Holztreppe zwischen einer Dönerbude und einem Obststand, hocken die Rheintöchter. An die Mauer, die zuvor Ost und West trennte, werden Filmbilder projiziert. Sie zeigen Hagen, den Bösen, wie er in einem Gummiboot auf dem Wasser treibt. Das Wasser mag der Rhein sein, vielleicht ist es aber auch der Fluss Styx, der Welt und Unterwelt trennt. So genau konnte man das in Frank Castorfs Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ bei den diesjährigen Wagner-Festspielen nicht wissen, und überhaupt blieb hier trotz vieler Farben vieles im Dunkeln.

Immerhin hat der Regisseur seine Bühnen-ideen schriftlich verteidigen lassen. Aus den Ausführungen seines Dramaturgen, der ein Nicht-Konzept zum Konzept erklärte und mit klugen intellektuellen Volten die assoziative Erfindung von Bildmomenten als notwendiges Ergebnis eines diskontinuierlichen Probenprozesses definierte, hätte man ein Buch machen können.

Oder sollen. Eigenartig wäre dieses jedenfalls gewesen – und hätte auf diese Weise positiv aus den zahllosen Veröffentlichungen herausgeragt, die den Büchermarkt im Wagner-Jubiläumsjahr überfluteten. Viele Bücher, die 2013 neu auf den Markt kamen, wären angesichts des schon vorher reichlichen Konkurrenzangebots nämlich wirklich nicht nötig gewesen.

So ersetzen etwa in Christian Thielemanns „Mein Leben mit Wagner“ (C. H. Beck, 320 S., 19,95 Euro) und in Alexander Busches „Mein Wagner – Auf Richards Spuren“ (Grebennikov, 166 S., 16,90 Euro) Selbstbespiegelungen die biografische, analytische oder politische Vertiefung. Weil Busche gut schreiben kann, steckt sein Spaziergang durch Wagners Lebensorte immerhin voller ironischer Brechungen und liest sich munter.

Wer den Dirigenten Thielemann schätzt, hört ihm lieber zu, als dass er die Sätze liest, welche die Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey für ihn so notierte, dass es möglichst jeder verstehen kann. „Die Holzbläser setzen nadelstichfeine Triolen hinzu“, liest man etwa über eine Stelle im dritten Akt von „Tristan und Isolde“, und diese Triolen gehen so: „pipipi, pipipi, pipipi, pipipi“. Da hätte man Thielemanns vierfachem „pipipi“ dann doch lieber zugehört (und dabei etliche Details des Beschriebenen aber natürlich nicht vernommen). Immerhin erfährt man in seinem Buch nette Kleinigkeiten wie etwa die Tatsache, dass im Bayreuther Orchestergraben aus klanglichen Gründen die ersten Geigen nicht wie sonst links, sondern rechts vom Dirigenten sitzen .

Nicht nur für Einsteiger eignet sich „Der kleine Wagnerianer“ von Enrik Lauer und Regine Müller (C. H. Beck, 271 S., 17,95 Euro), denn in den zehn Lektionen über Werk, Anspruch und Wirkung Wagners hat das Unterhaltende immer wieder Tiefe. Wagner-Kenner mit wissenschaftlichem und enzyklopädischem Interesse bedient hingegen ideal das von Laurenz Lütteken herausgegebene „Wagner-Handbuch“ (Bärenreiter/Metzler, 512 S., 69,95 Euro), das sich mit sämtlichen Schriften und Musikstücken Wagners detailliert beschäftigt

Wer die Voraussetzung akzeptiert, die auf der Rückseite von Dominik Tomenendals Taschenbuch „Die Wagners – Hüter des Hügels“ (Pustet, 144 S., 12,95 Euro) zu lesen ist, wird den Durchmarsch des Autors durch die Familie Wagner mögen. Die Bayreuther Festspiele, steht da, seien „das künstlerisch aufregendste Theaterfestival der Welt“. Das ist allerdings eine große Behauptung; zu ihr passt, dass der Autor zwei Jahre im Pressebüro des Festivals angestellt war.

Neue Erkenntnisse findet man eher bei distanzierteren Autoren. Etwa in der von Johanna Dombois und Richard Klein herausgegebenen Aufsatzsammlung „Richard Wagner und seine Medien“ (Klett-Cotta, 512 S., 78 Euro), die sich mit Aspekten der Wagner-Regie und mit etlichem Konfliktpotenzial zwischen (musikwissenschaftlicher) Theorie und medialer (Theater-)Praxis bis hin zur Einbettung von Wagners Werk in den Kontext zeitgenössischer Medientheorien auseinandersetzt. Lesern, die sich auch durch schwer Verständliches durchbeißen können, führt dieses Buch deutlich vor Augen, wo das utopische Potenzial von Wagners Kunst steckt. „Multimedia ist nicht Medienkunst“, liest man etwa bei Johanna Dombois, und „Medienkunst beginnt da, wo Multimedia endet“. Im Übrigen habe Wagners Idee des Gesamtkunstwerks nichts mit Multimedia zu tun, und Medien seien keineswegs nur (wie zurzeit bei der Bayreuther Festspielleitung) Vermarktungsinstrumente. Da kann man nur zustimmen.

Neues kommt auch von bewährten Wagner-Autoren, etwa von Jens Malte Fischer („Richard Wagner und seine Wirkung“, Zsolnay, 320 S., 19,90 Euro). Fischers Buch sollte jeder lesen, der immer noch meint, man könne bei Wagner Mensch und Musik, Werk und Wirkung voneinander trennen. „Es gibt keine gänzlich reine Kunst im mörderischen Zusammenhang einer sogenannten Schicksalsgemeinschaft“, schreibt Fischer, und wer den Band liest, findet darin für diese These Belege genug.

„Ich will nicht Wagner auf die Schliche kommen, sondern mir selbst und meiner Zeit“, schreibt Martin Geck, auch er gleichsam ein Wagner-Veteran, im Vorwort zu seinem Buch „Wagner“ (Siedler, 416 S., 24,99 Euro). Das Buch löst ein, was hier versprochen wird, und sucht mit Blicken zu Literatur und Philosophie immer wieder erfolgreich nach Beziehungen zwischen Geschichte und Gegenwart. Manchmal erstickt man schier vor Informationsfülle, dann wäre weniger mehr gewesen. Dennoch hat das Buch unbestritten das Zeug zum Standardwerk.

Historische und politische Blicke auf Wagner werfen Sven Oliver Müller („Richard Wagner und die Deutschen“, Beck, 351 S., 22,95 Euro) und Friedrich Diekmann („Das Liebesverbot und die Revolution“, Insel, 235 S., 22,95 Euro). Der Historiker Müller hat (zu?) viel interessantes Material zu Wagners Wirkung in Deutschland vom Kaiserreich bis ins 21. Jahrhundert zusammengetragen; die „Geschichte von Hass und Hingabe“, die er laut Untertitel erzählen will, krankt allerdings am Ende daran, dass der Autor selbst keinen Standpunkt vertritt. Konzentrierter wirkt Dieckmanns Blick auf den Revolutionär Wagner und die Verbindung zu dessen frühen Opern.

Ganz besonders speziell, eigenartig, streitbar und gerade deshalb besonders interessant ist schließlich Bernd Oberhoffs Deutung von Wagners „Ring“ als „Psychogramm der unbewussten psychischen Realität seines Schöpfers“ („Richard Wagners ‚Der Ring des Nibelungen‘ – Eine musikpsychoanalytische Studie“, Psychosozial-Verlag, 424 S., 39,90 Euro). Hier liest man vom Rheingold als „Schatz im Mutterschoß“, von Nibelheim als „finsterem Ort der Analität“, von Siegfried, dem es „vordringlich um die Kastration des väterlichen Genitales“ gehe (der Riesenwurm ist – was auch sonst – ein Symbol für den väterlichen Phallus).

Dass Oberhoffs Beschreibung des „Rings“ als „grundlegenden Konflikt zwischen reinem Narzissmus und Analität“ nicht nur durch seine Fremdheit fasziniert, liegt an der profunden musikalischen Kenntnis des Autors. Sie macht das Buch bis zur letzten Seite zu einer ebenso tiefgründigen wie spannenden Lektüre, die auf sehr eigene Weise belegt, wie sehr sich bei der Reizfigur Wagner das Werk und sein Schöpfer durchdringen – und wie dicht hier Anziehung und Abstoßung beieinanderliegen. Ganz so, wie es der große Dirigent Leonard Bernstein einmal formulierte. „Ich hasse Wagner, aber auf Knien!“