Gelassenheit bewahren trotz Hektik um einen herum? Das ist gar nicht so einfach. Viele wollen dies aber lernen. Foto: dpa-tmn

Achtsamkeit gilt inzwischen fast schon als Allheilmethode gegen Stress, Depressionen und Schmerzen. Seit einigen Jahren boomen Achtsamkeitstrainings. Ein Besuch im Kurs von Hildegard Staufner im Stuttgarter Süden.

S-Süd - Im Raum haben sich acht Menschen auf weißen Wollmatten liegend ausgebreitet. Hildegard Staufner, 61, praktizierende Buddhistin und MBSR-Lehrerin spricht eine Achtsamkeitsmeditation vor, den Body Scan. Dabei konzentriert man sich 30 Minuten auf seinen Körper. Auf jedes Körperteil. Die kleinen Zehen, den großen Zehen. Etwas tut weh? Das ist in Ordnung. Achtsam zu sein, heißt, Dinge zu akzeptieren, wie sie sind – ohne sie zu „bewerten“. Sich nur auf den eigenen Körper zu fokussieren, das funktioniert anfangs mäßig gut. Der Bauch gluckert, die Füße sind eiskalt. Und, wer kann sich bitte 30 Minuten nur auf seinen Körper konzentrieren? Die Gedanken abschalten, das klappt mal überhaupt nicht.

Der Kurs „Stressreduktion durch Achtsamkeit“, kurz MBSR (mindfulness-based stress reduction) im Buddhistischen Zentrum der Sakya Dechen Ling im Süden dauert acht Wochen. Die Teilnehmer wollen lernen, wie sie im Alltag besser mit Stress und Krankheiten umgehen können. „Gelassener zu werden“, ist die Standardaussage als Erwartung an den Kurs.

Achtsamkeit ist in – viele sehen darin aber ein Allheilmittel gegen Stress

Seit einigen Jahren boomen Achtsamkeitstrainings. Inzwischen gilt Achtsamkeit fast schon als Allheilmittel gegen Stress, psychische Krankheiten und Schmerzen. Einige Teilnehmer haben viele Fragen. Mache ich die Übung so richtig? Muss ich immer Hausaufgaben machen? „Wir müssen gar nichts“, sagt Staufner dann jedes Mal. Viele lebten zu sehr in der Vergangenheit oder zu sehr in der Zukunft. „Sie sind nicht präsent in der Gegenwart“, sagt sie im anschließenden Gespräch. Dabei gehe es doch am meisten darum. „Was ist jetzt?“ Heute neigen wir dazu, schnell Medikamente gegen alles, was zwickt oder stört, zu nehmen. Der Körper funktioniert oft nicht mehr von alleine. „Dinge, die mir nicht angenehm sind, will ich schnell weghaben“, sagt Staufner dazu.

Die Meditationspraxis, die auf den amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn zurückgeht, ist ein Hype geworden – und wird daher oft recht verwässert. Es gibt zig Wochenend- oder Onlinekurse, die schnelle Entspannung versprechen. „Da muss man sich gar keine Zeit dafür nehmen“, sagt Staufner, die sich exakt an das Programm des Gründers hält. Aber ein wirkungsvoller Kurs, wie sie ihn anbietet, braucht eben Zeit. In der ersten Woche üben die Teilnehmer jeden Abend eine halbe Stunde den Bodyscan, in der zweiten meditieren sie, in der dritten steht Yoga an. Viele melden sich in einem Kurs an, wenn sie bereits gesundheitliche oder psychische Probleme haben, sagt Staufner. Deshalb sei es wichtig, die eigene Einstellung anzuschauen. „Vieles haben wir als Kind gelernt und verinnerlicht. Da müssen wir uns fragen: Ist das heute noch so?“ Natürlich kann man viele Beschwerden nicht einfach wegmeditieren. „Aber vielleicht kann man sie mit Freundlichkeit betrachten“, empfiehlt Staufner, die sich selbst nach all den Jahren des Praktizierens als noch „Übende“ bezeichnet.

Die Wirksamkeit der Meditationsübungen ist vielfach nachgewiesen

Inzwischen gibt es viele wissenschaftliche Studien über Achtsamkeit. Das Ergebnis ist meist, dass MBSR bei täglicher (!) Übung äußerst wirksam ist. Stress, Ängstlichkeit und depressive Symptomeließen sich lindern. Sogar viele Firmen nutzen Achtsamkeitsmethoden – damit die Mitarbeiter weniger krank werden. Einige Forscher kritisieren genau das: „Menschen versuchen 20 Minuten zu praktizieren, damit sie danach umso erfolgreicher, umso fitter, umso innovativer sind“, sagte der Soziologie-Professor Hartmut Rosa von der Universität Jena in einem Interview. Auch der Autor und Psychologe Andreas Knuf kritisiert in dem Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ den vielerorts verbreiteten „achtlosen Umgang mit der Achtsamkeit“ und weist daraufhin, es sei ein „ethisches Konzept“, das eine von Mitgefühl und Toleranz geprägte Haltung umfasse.

Freundlich sein auch zu sich selbst, das versucht Staufner zu vermitteln. Und Kontakt mit dem Atem aufzunehmen. „Das ist für vieles so bedeutend“, sagt sie. Atmen, die Gedanken wahrnehmen und nur beobachten, welche Gefühle da hoch kommen. Nur beobachten – daran scheitert man aber schon oft. Nach acht Wochen hat man darin immerhin kleine Fortschritte erzielt . . .