Pendlerin durch Europa: die Autorin Ivna Zic Foto: imago images//Michael Debets

Ivna Zic verknüpft in ihrem Debüt auf raffinierte Weise verschiedenen Lebensläufe und verspiegelt heutige mit früheren Zeiten – ein erzählerisches Kleinod.

Stuttgart - Eine kroatische Großmutter. Dazu noch ein Großvater, der von der Vergangenheit schweigt, obwohl in der etwas Unerhörtes schlummern muss. Und ein geheimnisvolles Porträt, gemalt von ebenjenem Opa, das Bild einer jungen Frau in türkisem Kleid. Und natürlich: die Adria-Insel, auf der Erinnerungen an eine sommerliche Jugend zurückgeblieben sind, die bis in die Gegenwart hinübergreifen.

Als man gerade anfangen möchte zu nörgeln über diese vermeintlichen Klischees, kommt einem wunderbarerweise etwas in die Quere. Und das ist die Sprache von Ivna Zic, einer kroatischstämmigen Autorin, 1986 in Zagreb geboren, in Zürich aufgewachsen und dort sowie in Wien lebend, wenn sie nicht als Theater-Regisseurin durch halb Europa pendelt. Sie macht aus dieser Geschichte, die wie jede gute Geschichte autobiografische Spurenelemente enthält, ein kleines Kunststück. Klein nicht, weil zum großen Kunstwerk viel fehlte, sondern weil „Die Nachkommende“ ein schmales Debüt ist und auf gerade mal 160 Seiten eine Verspieltheit, Konzentriertheit, Leidenschaft, Klugheit, Traurigkeit an den Tag legt, dass man nach der Lektüre ein wenig erstaunt aufblickt. In bilderreichen Szenen werden wir nach und nach und oft über Bande vertraut gemacht mit den familiären Konstellationen, den sich überlappenden Zeiten und Zweifeln, die in das Leben der Erzählerin hineinfunken.

Sprachspagat über die Grenzen

Ivna Zic teilt mit ihrer Heldin das Dasein als Ausgewanderte: Die Eltern verlassen Jugoslawien „kurz vor alldem“, also kurz bevor die einstige Utopie eines Vielvölkerstaats in den Balkankriegen zerbirst. Das Kind wächst in Zürich auf, das Meer wird gegen einen See getauscht. Aber es gibt weiterhin die Reisen hin und her, es gibt die Großeltern in Kroatien, es gibt den „Sprachspagat“ und die Grenzen.

Wir befinden uns mit der jungen Frau auf einer der stundenlangen Fahrten in die ehemalige Heimat. Kurz zuvor war sie noch in Paris gewesen, um sich von ihrem Liebhaber, einem verheirateten Mann, zu trennen – was reichlich misslingt. Im Zug ist er in Gedanken anwesend, aber es setzen sich noch andere Menschen zu ihr, tote vor allem. Einer davon, der Großvater, begleitet sie auf der ganzen Reise. Seine Geschichte ist die eigentlich interessante, weil sie eine Leerstelle aufweist: Gerade dieser Mann, der der Enkelin Märchen von Feen erzählt und Wörter in der Buchstabensuppe gesucht hat, schwieg immer über seine eigenen Erlebnisse – so laut, dass es nicht zu überhören war. Sein im Großelternhaus hängendes Gemälde einer namenlosen Frau verweist auf die Zeit, als der Großvater in Paris war, um Maler zu werden, Träume hatte, Sehnsüchte, die er später so tief in sich vergraben musste, dass sie ihm nicht gefährlich werden konnten.

Ivna Zic verknüpft die verschiedenen Lebensläufe raffiniert miteinander, spiegelt heutige in früheren Zeiten, politische Erfahrungen mit ganz intimen; dabei wahrt sie einen so poetischen Ton, dass diese Überblendungen und Sprünge nichts Aufdringliches haben. Immer bleibt dabei eine Vagheit zurück, die dem Erinnern und dem Erfinden einer Erinnerung nur angemessen erscheint.

Ivna Zic: Die Nachkommende. Roman. Matthes & Seitz. 160 Seiten, 20 Euro.