In der Tauber-Zeitung wurde 1943 mit Anzeigen auf die Versteigerung jüdischen Besitzes hingewiesen – verräterisch ist der Ort der Auktion. Foto: Hartwig Behr

Rund 30 Historiker haben erforscht, wie der NS-Staat viele jüdische Mitbürger in Württemberg und Hohenzollern in den Ruin und die Verzweiflung trieb. Eine Rezension.

Stuttgart - Natürlich ist jedem bekannt, dass die jüdischen Mitbürger in der NS-Zeit nicht nur verfolgt und ermordet, sondern fast immer auch ihres Vermögens beraubt worden sind. Und doch ist es schockierend zu lesen, mit welcher Radikalität und Unbarmherzigkeit die Behörden damals vorgegangen sind und wie sich oft sogar die Nachbarn ohne jegliche moralische Skrupel bereichert haben. Rund 30 Historiker und engagierte Laien haben diese „wohl umfassendste Raubaktion in der neueren Geschichte Europas“ jetzt erstmals für Württemberg und Hohenzollern erforscht. Das fast 600 Seiten dicke Werk ist nun im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Stuttgart vorgestellt worden. Angela Borgstedt, Historikerin an der Universität Mannheim, hielt den Festvortrag. Sie sprach von den deutschen Bürgern als einer „Beutegemeinschaft“ und sagte: „Ein Stück weit war der Wohlstand der Nachkriegszeit auf Raub gebaut.“

Allein die Zahl der perfiden Verordnungen und Gesetze, mit der die NS-Behörden diese totale Ausplünderung legitimierten, ist fast unüberschaubar. Martin Ulmer, neben Heinz Högerle und Peter Müller Herausgeber des in jeder Hinsicht gewichtigen Bandes, hat den Ablauf für die Besitzer der Mechanischen Leinenweberei in Laichingen dokumentiert. Den Brüdern Paul und Hugo Kahn wurde zunächst weniger Garn zugeteilt, es folgten eine hohe willkürliche Ordnungsstrafe und schikanöse Betriebsprüfungen. 1938 wurden ihnen alle Konten gesperrt. So zwang man die beiden Unternehmer schließlich zum Verkauf – sie erhielten gerade 35 Prozent des Verkehrswertes für die Firma. Davon musste noch eine „Sozialabgabe“ gezahlt werden, die direkt an NS-Organisationen floss. Zudem mussten jüdische Mitbürger 25 statt zehn Prozent des Erlöses an das Finanzamt abführen. Auf den Rest des Geldes konnten Paul und Hugo Kahn wegen der gesperrten Konten dennoch nicht zugreifen.

Dokumente des Zynismus und der Gier

Auch normale jüdische Bürger wurden ausgepresst. Sie mussten eine „Judenvermögensabgabe“ zahlen, später wurde eine Silberabgabe eingeführt, nach der man nichts an Edelmetallen behalten durfte außer dem Ehering. Wer auswandern wollte, hatte eine „Reichsfluchtsteuer“ zu entrichten. Sogar nach der Ermordung bereicherte sich der Staat noch: Aller Besitz fiel automatisch an das Reich. Korrupte Verfahren waren dabei die Regel. Häufig wurden florierende Fabriken an NS-Getreue vergeben; so sicherte man sich deren Loyalität. Viele Behördenvertreter suchten sich aus den Haushalten persönlich schöne Schreibtische, Teppiche oder Gemälde aus. Viele Akten seien nichts anderes als „Dokumente des Zynismus und der Gier“, heißt es im Buch. Und auch die Bevölkerung – das arbeiten die Autoren klar heraus – kann sich nicht aus der Verantwortung reden: Oftmals wurden Versteigerungen von Mobiliar offen in den Zeitungen angekündigt, bei den Auktionen bildeten sich lange Schlangen. Sehr viele wollten ein Schnäppchen machen.

Interessant ist auch, dass Martin Ulmer und Heinz Högerle in zwei Aufsätzen nachweisen, dass die Finanzämter Dreh- und Angelpunkt der Ausplünderung waren. Nach dem Krieg legten sich diese Behörden gerne das Bild einer unpolitischen Verwaltung zu. In Wirklichkeit waren sie zentrale Akteure des Raubs. Nach der Ermordung der Juden zogen sie in deren Namen sogar noch offene Forderungen ein.

Ehrenamtliche Autoren schaffen ein Standardwerk

Das Buch ist eine enorme Leistung, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die meisten Autoren ehrenamtlich geforscht und geschrieben haben. Nur durch die Unterstützung des Landesarchivs und der Landeszentrale für politische Bildung sei das Werk realisierbar gewesen, so Heinz Högerle bei der Präsentation. Dennoch dauerte es acht Jahre seit der ersten Idee.

Manche der 42 in sich abgeschlossenen Aufsätze des Buches versuchen einen Überblick zu geben über wichtige Teilaspekte, etwa wie die 150 jüdischen Ärzte aus dem Beruf, in die Armut und in die Verzweiflung gedrängt wurden. Die meisten Kapitel beschäftigen sich aber mit Einzelstudien, etwa zum Kaufhaus Schocken oder zur Rolle der Stadt Stuttgart als Immobilienaufkäuferin. Da manche Abläufe der Ausplünderung immer wiederkehren, gibt es in den Kapiteln einige Doppelungen. Aber das ist ein Detail. Insgesamt wird sich dieses Buch, da es Überblick und Tiefenschärfe zugleich bietet und da es den aktuellen Forschungsstand vermittelt, zum Standardwerk für Württemberg und Hohenzollern entwickeln. Angela Borgstedt war fast ein wenig neidisch: Sie wolle sich dafür einsetzen, eine ähnliche Studie für Baden zu verwirklichen, sagte sie.