Der US-Konzern Amazon drängt ins Bücherregal und will in Deutschland selbst Unterhaltungsliteratur verlegen Foto: Fotolia / StN-Fotomontage

Die Verlagspläne Amazons gehen weiter als bisher bekannt. Der Online-Händler will die für dieses Frühjahr angekündigten Titel seines neuen deutschsprachigen Verlagsprogramms auch in den Buchhandel bringen.

Stuttgart - Amazon hat mit dem Direktvertrieb von Büchern den deutschen Buchhändlern das Wasser abgegraben. Schon bald will der US-Konzern auch Bücher verlegen. Kommen jetzt auch die deutschen Verlage unter Druck? Und wie reagieren Buchhändler und Autoren?

Die Autorin

Amazons neues Aushängeschild hat einen Autorennamen, der nach englischen Landschaften und etwas Wagemut klingt: Emily Bold. Eigentlich heißt die Mittdreißigerin anders und wohnt im Fränkischen; doch für ihre historischen Romanzen, die Titel wie „Verlorene Träume“ oder „Vergessene Küsse“ tragen, ist ein englischer Name verkaufsfördernd. „Ich habe gelernt, mich erfolgreich selbst zu vermarkten und in den sozialen Netzwerken einen großen Fankreis zu gewinnen“, sagt Bold mit einem rollenden R. Rund ein Dutzend Bücher und E-Books hat sie in den vergangenen drei Jahren selbst geschrieben und verlegt. Alles andere erledigte sie selbst: das Manuskript einer Lektorin geben, das Layout gestalten, ein Buchcover finden, die zündende Werbeidee, die Pressearbeit. „Das hat sehr viel Zeit gekostet“, sagt Bold. „Bei meinem neuen Buch macht Amazon das für mich.“

Damit bietet der US-Konzern deutschsprachigen Autoren die gleichen Möglichkeiten wie traditionelle deutsche Verlage. 18 deutschsprachige Autoren hat der Internetgigant bisher unter Vertrag. Weitere sollen im Laufe des Jahres folgen. Das Gros hat die Bücher bisher selbst verlegt, nur ein Teil publizierte in Verlagen. Die Titel – vorwiegend Unterhaltungsliteratur – kommen in den kommenden Wochen als E-Books für Amazons Lesegerät Kindle und als Printausgabe heraus. Bolds „Klang der Gezeiten“ soll im Juni erscheinen. Vom Erfolg ist sie überzeugt. „Amazon hat den größten Marktplatz für Leser jeden Genres. Dadurch kann es gerade im Marketingbereich punkten“, sagt sie. „Keiner kann das Leseverhalten seiner Kunden besser einschätzen als Amazon und jede Maßnahme daher zielgerichtet auf die Bedürfnisse der Leser und meines Romans zuschneiden.“

Die Verlage

Die Fülle der Leserdaten, die der Konzern angehäuft hat, ist einer der Pluspunkte im Wettbewerb mit den Verlagen. Ähnlich wie ein Buchhändler empfiehlt Amazon, was dem Kunden noch gefallen könnte. Nicht zu unterschätzen sind die Empfehlungen auf Amazons Webseiten, die Leser selbst abgeben. Ob Buch, Vertrieb oder Marketing: Als Verleger hält Amazon alles in einer Hand. Damit könnte der Konzern auch leichter die Autorenhonorare erhöhen und an anderer Stelle sparen. Um die zehn Prozent erhält ein Autor im Schnitt von einem Verlag. Schon häufiger hat Amazon angedeutet, dass man den Autoren bessere Konditionen biete als Verlage. Doch auf Nachfrage gibt sich die Konzernzentrale in Seattle wortkarg. „Über unsere Preispolitik diskutieren wir generell nicht in der Öffentlichkeit“, heißt es.

Die meisten Verlage sehen Amazons Offensive zumindest offiziell entspannt. Der Tübinger Heinrich Riethmüller ist Vorsteher des Börsenvereins, der die Interessen von rund 1900 Verlagen und über 3500 Buchhandlungen vertritt. „Amazon kann nicht den Service eines etablierten Verlages bieten. Ein Verlag ist ein Flaschenhals: Er weiß, wie der Handel tickt und wie man das richtige Marketing macht. Wenn man es richtig macht, kostet das Geld. Wenn Amazon den Autoren höhere Honorare geben will, müssen die Kosten anderswo eingespart werden.“

Auf das Image von Traditionsverlagen verweist auch Stephanie Mair-Huydts, Verlagschefin der größten deutschen Reiseverlagsgruppe Mairdumont aus Ostfildern. „Wir haben ein Marken- und Qualitätsversprechen, das wir für jeden unserer Titel abgeben. Das kann uns so schnell niemand nachmachen.“ Kurz und zuversichtlich ist die Antwort vom Stuttgarter Verlag Klett-Cotta: „Ich sehe keine Auswirkungen auf den deutschen Buchmarkt zukommen“, sagt der verlegerische Geschäftsführer Michael Zöllner.

Warnende Stimmen gibt es allerdings aus dem Buchhandel. Also dort, wo noch immer die meisten Leser die Bücher kaufen. Mirjam Berle, Pressesprecherin der größten deutschen Buchhandelskette Thalia, versteht die Zuversicht der Verlage nicht. „Die Verlage müssen die Marktmacht von Amazon fürchten. Amazon ist bestrebt, die gesamte Wertschöpfungskette nach und nach möglichst aus einer Hand anzubieten und seine Marktmacht so immer weiter zu festigen.“

Der Buchhandel

Die Marktmacht ist noch auf Seiten der Verlage. Auch weil sie sich auf den stationären Buchhandel stützen können. Doch dort will auch Amazon hin. Der Konzern will die gedruckten Bücher nicht nur wie angekündigt über die eigenen Internetplattformen verkaufen. Es werde möglich sein, von Amazon verlegte Titel im deutschen Buchhandel zu kaufen, sagt ein Sprecher von Amazon Deutschland unserer Zeitung. „Wir werden jedem, der unsere Titel aufnehmen möchte, auch die Gelegenheit dazu geben, diese zu vertreiben.“

Die Gretchenfrage ist: Würde der Buchhandel die Bücher auch vorrätig halten?

„Auf keinen Fall“, sagt Heinrich Riethmüller, der nicht nur Vorsteher des Börsenvereins ist, sondern auch geschäftsführender Gesellschafter der Tübinger Buchhandlung Osiander, eine der größten mittelständischen Buchketten. „Und ich glaube nicht, dass wir Händler gut beraten wären. Sonst graben wir unser eigenes Grab.“ Riethmüller hat Grund, selbstbewusst zu sein. Die Geschäfte gehen glänzend, mit einem großen Internetshop hat sich Osiander gegen Amazon positioniert. Auch vor Leserbeschwerden wäre ihm nicht bange. „Dann würde es in der Öffentlichkeit vielleicht noch eine stärkere Diskussion über Amazon geben“, sagt Riethmüller und spielt dabei auf das durchwachsene Image Amazons an. Unter anderem hatten Berichte über prekäre Arbeitsverhältnisse im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt.

Konrad Wittwer von der gleichnamigen Stuttgarter Buchhandlung hat einen anderen Blick darauf: „Ein Händler wäre schlecht beraten, wenn er das nicht vorrätig halten würde, wonach seine Kunden fragen. Eine Herzensangelegenheit ist das sicherlich nicht.“

„In meine Buchhandlung würde ich keine Bücher einstellen. Ich hole mir ja nicht den Teufel ins Haus“, sagt Susanne Martin, Inhaberin der Stuttgarter Schiller Buchhandlung. „Ich sortiere ja ohnehin aus, was nicht zu meiner Zielgruppe passt.“ Martin pflegt einen engen Kontakt zu Autoren und bietet oft Lesungen an. Ihre Beobachtung: Wenn Autoren nicht in der ersten Reihe stünden, fühlten sich von ihren Verlagen beim Marketing oft vernachlässigt. „Da sehe ich die größte Gefahr. Als Verlegerin würde ich mich ehr genau fragen, was ich meinen Autoren bieten kann.“

Martin warnt davor, Amazon ein zweites Mal zu unterschätzen. „Amazon hat einige Jahre gebraucht, um Bücher erfolgreich zu vertreiben – und wurde zuerst nicht ernst genommen. Ich befürchte, dass das jetzt wieder geschieht.“

Hintergrund: Der Buchgroßhandel

* Bei der Frage, ob Amazon seine Bücher in im lokalen Buchhandel unterbringt, spielen die Buchgroßhändler, auch Barsortimenter genannt, eine wichtige Rolle. Sie kaufen von den Verlagen Bücher in großen Mengen, um sie den lokalen Buchhandlungen anzubieten. Der drittgrößte deutsche Barsortimenter, Umbreit aus Bietigheim-Bissingen, würde Amazon-Titel anbieten – sofern dies die Buchhandlungen nachfragen. „Berührungsängste haben wir nicht“, heißt es.

* Bereits seit 2011 macht Amazon den deutschen Verlagen Konkurrenz. Seitdem können Autoren Bücher über Amazon selbst verlegen – als E-Book oder als gedruckte Ausgabe. Die E-Books werden auf Amazons Lesegerät Kindle überspielt, gedruckte Bücher über Amazons Internetplattform. Den Autoren entstehen erst einmal keine Kosten, den Buchpreis setzen sie selbst fest. Erst beim Verkauf bekommt Amazon eine Prämie, den Autoren bleiben bis zu 70 Prozent der Einnahmen.