Tilmann Schroth hat die Porträtreihe herausgegeben. Foto: Ines Rudel

Kaiser und Könige stiegen im Goldenen Kreuz ab, während sich bürgerliche Kreise, Vereine und andere Gruppierungen in Wirtshäusern trafen.

Göppingen - Früher traf man sich viel häufiger in der Wirtschaft, als das heute allgemein üblich ist. Und das nicht nur zum Essen und Trinken, denn die Gaststätten dienten vor allem auch der Geselligkeit. Dort wurde debattiert und politisiert, aber auch gesungen, getanzt und gefeiert. Kurzum: Das Gasthaus war Brennpunkt des privaten und des öffentlichen Lebens wie es Tilmann Schroth formuliert. Der Göppinger hat mit seinem Atlas der alten Gasthöfe und Schankwirtschaften nun einen Überblick über die historischen Gaststätten in Göppingen vorgelegt.

Auf 400 Seiten werden historische Wirtshäuser und Gasthöfe vorgestellt

Vom Adelberger bis zum Württemberger Hof reicht die Palette der 220 Wirtshäuser und Bierkeller, zu denen sich in dem 400 Seiten starken Band außerdem noch 20 Cafés gesellen. Den Kern des Buches liefern Gaststättenporträts, die auf eine Serie in der „Neuen Württembergischen Zeitung“ aus den Jahren 1985 bis 1999 aus der Feder des verstorbenen Autors Hermann Rumpp zurückgehen. Tilmann Schroth hat nun als Herausgeber eine kulturhistorische Übersicht, einen Anhang, ein Verzeichnis und ein Glossar geliefert.

Der Autor, der vor seiner Pensionierung als Molekularbiologe an der Universität Stuttgart-Hohenheim wirkte, skizziert die Entstehung der ersten Schankwirtschaften und ihre Blütezeit Mitte des 19. Jahrhunderts, als jeder Verein und jede gesellschaftliche Gruppierung ein Stammlokal hatte. Schroth berichtet, wie etwa im Biergarten der Lokals Stadt Warschau im Geiste des Vormärz’, also der Zeit zwischen 1830 und 1849, kommunale Organisationen wie die Bürgerwehr, eine Vorläuferin der Freiwilligen Feuerwehr, aus der Taufe gehoben wurden.

Kaiser und Könige stiegen im Goldenen Kreuz ab

Nach dem ersten Stadtbrand 1425 zählte Göppingen laut Schroths Recherchen lediglich sechs Gasthöfe. Eine besondere Stellung habe das Goldene Kreuz gegenüber dem Rathaus eingenommen. Anders als beispielsweise der Bären musste demnach das Goldene Kreuz nicht „bei Bedarf Mobiliar und Hausrat ins Göppinger Schloss liefern oder Pferde und Wagen der angereisten hochherrschaftlichen Gäste unterbringen und versorgen“, schreibt Schroth. Das erkläre sich aus der Funktion des Goldenen Kreuzes, das sich von einer Ritterherberge zu einem echten Fürstengasthof gemausert hatte. Und als Beleg zitiert Schroth aus der Gästeliste, die erlauchte Namen enthält wie den von Kaiser Karl V., der dort im Jahr 1550 logierte, und von Kaiser Friedrich III. sowie König Philipp von Spanien, die dort ebenfalls zu Gast waren.

Um die Zeit des zweiten Stadtbrands 1782 zählte man nach Schroths Erkenntnissen in den Göppinger Gassen rund 20 Mostwirtschaften sowie Wein- und Bierschenken für die damals rund 3000 Einwohner. Später kamen noch acht Brauereien dazu. Bis ins 19. Jahrhundert war Göppingen auch eine Weinbaugemeinde und so wurde häufig selbst angebauter Rebensaft ausgeschenkt.

Die ersten Fußballer gingen der damals noch exotischen Sportart 1905 am Hirschkeller nach

Schroth erinnert daran, dass vor allem die Bäcker vom Schankrecht profitierten, das traditionell mit der Backgerechtigkeit verbunden war. Typisch für die legendäre Beliebtheit dieser Bäckerwirtschaften seien die Hausnamen, mit denen die Einheimischen eine enge Vertrautheit ausdrückten wie beim Beckenkaspar, Kuchelesbeck oder Grabenbeck, der heutigen Bäckerei Zwicker. Reine Speiselokale nach französischem Vorbild etablierten sich unter dem Namenszusatz Restauration wie etwa die Harmonie, die der Metzger Wilhelm Gölz 1876 als Wirtschaft mit Metzgerei eröffnete. Und der damals noch exotische Fußballsport soll übrigens im Jahr 1905 auf dem Platz beim Hirschkeller Einzug gehalten haben.