Reges Interesse an lokaler Geschichte: Die Sindelfinger Stadtarchivarin Illja Widmann eröffnet die Buchpräsentation. Foto: Stefanie Schlecht

In dem historischen Band „Von Abba bis Zappa“ erzählt Christoph Wagner von der Zeit, als Böblingen und Sindelfingen ein Mekka der Rockmusik waren. Jetzt wurde das Buch vorgestellt.

Irgendwann kamen die großen Rockbands alle nach Böblingen und Sindelfingen, spielten in der Sport- oder Messehalle, lockten Massen von Fans an. Christoph Wagner heißt der Autor, dem es zu verdanken ist, dass jene Zeit nun wieder in die Erinnerung rückt. Sein Buch „Von Abba bis Zappa“ beleuchtet die lokale Rockkonzert-Szene bis in die frühen 1980er Jahre, erzählt faszinierende Geschichten und wurde am vergangenen Freitag in Sindelfingen vorgestellt – eingerahmt von launigen Anekdoten einiger Zeitzeugen.

 

Christoph Wagner gehörte selbst zur Szene, besuchte viele Konzerte, mischte mit, erinnert sich an Jugendfreunde, die im tiefsten Winter vom weit entfernten Balingen mit dem Moped nach Böblingen fuhren und zurück, nur um einige der Rockmusik-Halbgötter auf einer Bühne zu sehen. Rund 55 Jahre später ist Wagner ein fleißiger Buchautor und kundiger Internet-Blogger. Er durchleuchtet die Vergangenheit mit Leidenschaft, Akribie und einer Laune, die erraten lässt, dass er vieles selbst erlebte.

Christoph Wagner berichtet. Foto: Stefanie Schlecht

Er erzählt in seinem neuen Buch von der Zeit des Stuttgarter Pop-Verbots, erlassen 1970, nachdem Fans die Konzerthallen der Landeshauptstadt zerlegt hatten – aus Protest gegen zu hohe Eintrittspreise, vielleicht auch aus bloßer Lust an der Randale. Gleichzeitig war das die Chance für Städte wie Böblingen und Sindelfingen und ihre Hallen, als Veranstaltungsort aus dem Schatten Stuttgart hervorzutreten.

Die Initiative „Bird-Laden“ organisierte Rockkonzerte in Sindelfingen

„Von Abba bis Zappa“, soeben erschienen im Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher, ist nicht Christoph Wagners erstes Buch zum Thema. Vor acht Jahren stellte er „Träume aus dem Untergrund“ vor, ein Buch über die landesweite Musikszene im Aufbruch Anfang der 1970er Jahre. Damals saßen Winfried Kretschmann und Werner Schretzmeier, heute Leiter des Stuttgarter Theaterhauses, beisammen und plauderten über die alten Zeiten.

Am Freitagabend nun, im Saal der Sindelfinger Schule für Musik und Tanz (SMTT), als „Von Abba bis Zappa“ seine „Buchtaufe“ feiert, fehlen die großen Namen. Schretzmeier wurde eingeladen, er ließ sich entschuldigen. Dafür sind andere Zeitzeugen gekommen – Roland Stolz, einer der Aktiven der Initiative „Bird-Laden“, die Rockkonzerte in Sindelfingen organisierte. Und Peter Schick, Gitarrist aus Leinfelden, der von seinen Erlebnissen rund um einen Auftritt mit dem Jazzpianisten Wolfgang Dauner berichtet. Andreas Vogel, kundiger DJ aus Stuttgart, legt zeitgemäß auf.

Roland Stolz erinnert sich an kleine Fehltritte in jungen Jahren, die lange verjährt sind. Bei einem Ausflug nach London sah er eine LP der Band Beggars Opera, die ihm mit 14 Pfund zu groß für seinen Geldbeutel erschien. „Wir haben einfach einen billigeren Bebber draufgemacht“, gibt er nun zu, ein musikbegeisterter Schwabe. Drei Konzerte veranstalteten Stolz und seine Freunde anschließend mit Beggars Opera in Deutschland – das letzte von ihnen in Sindelfingen, 1500 Zuschauer kamen. Der Sänger der schottischen Band, dies verrät der Konzertveranstalter seinen Zuhörern in Sindelfingen, arbeite heute als Führer im Schloss Schwetzingen.

Der historische Band Foto: Stefanie Schlecht

Alles begann mit der Schülerzeitung eines Böblinger Gymnasiums. Dort wurde über ein Konzert berichtet. Roland Stolz war als Fotograf mit dabei. „Nach der Veranstaltung haben wir uns gesagt: Das können wir auch.“ Die jungen Konzertveranstalter suchten Kontakt mit der Stadt Sindelfingen, umwarben sie mit der Aussicht auf Medienpräsenz und durften bald schon die Sindelfinger Ausstellungshalle, später Klosterseehalle, bei geringer Miete bespielen.

Kommunikation ohne Internet und Handy – heute kaum noch vorstellbar

Freilich: Vieles war viel schwieriger, vor mehr als 50 Jahren. „Es gab kein Handy, kein Internet, man musste sich per Telefon verabreden. Einmal stand eine der Gruppen bei Jürgen Weber in der Bahnhofsstraße vor der Tür, weil sie die Halle nicht finden konnte.“ Roland Stolz weiß noch, wie er mit der einen oder anderen Band Spaziergänge in Sindelfingen unternahm, und wie er mit Status Quo Fußball spielte, um den Musikern die Langeweile zu vertreiben.

Die zielstrebigen jungen Musikmanager hatten Glück: „Die Leute, die zu unseren Konzerten kamen, wollten nur Musik hören. Es gab keinen einzigen Zwischenfall. Wir brauchten keine Ordner, keine Security.“ Und deshalb gelang es den jungen Machern auch, ihre Eintrittspreise niedrig zu halten – bei drei D-Mark, fünf D-Mark, maximal zehn. Und das hatte Folgen, für eine Weile: „Damals war in Sindelfingen etwas los!“