So sah Fanta-Manager Andreas „Bär“ Läskerin den 80ern auf. Foto: /Norbert Neon

Die 80er sind die Dekade des Night Fevers: Die Disco-Dichte ging in Stuttgart gegen unendlich. Ein Buch von Andreas „Bär“ Läsker und Norbert Neon bringt Fotos einer wilden Zeit ans Licht, über die man heute schmunzelt, die aber Kulturgut sind.

Was tun, wenn die Welt noch keine Handys und keine Selfies kennt? Der Mitteilungsdrang und die Selbstinszenierung kamen nicht erst mit der Digitalisierung hoch. Der 1954 geborene Norbert Neon (ein Künstlername), den das Magazin „Wiener“ zu den „1100 wichtigsten Leuten in Deutschland“ zählte, genoss daher im Stuttgarter Nachtleben eine privilegierte Stellung.

Fast jeden Abend war er im Auto mit Kameras unterwegs, um in Discos, wie die Vorgänger der Clubs hießen, Stoff zu sammeln für sein „Neon“. Das Heft ist 1984 zum ersten Mal erschienen, kam rasch auf eine Auflage von 30 000 Exemplaren, lag an 100 Stellen kostenlos aus und finanzierte sich über Anzeigen. Hier fand die „Ausgehszene“, wie Norbert Neon mit diesem fast schon vergessenen Wort sie so wunderbar nennt, vor Insta und Facebook die Faces und den „Local Shit“ (so  der  Titel einer Rubrik), das unnütze Wissen also, das heute in den sozialen Medien bis zum Schwindligwerden rotiert.

„Wir waren Disco“ ist auf 166 Seiten Stadtgeschichte at his best

Klatsch ist ein Laster, das wenige für sich beanspruchen, an dem sich aber fast alle ergötzen. Heute ist der Klatsch der 80er ein Kulturgut, eine Inspiration. Und deshalb kann man Norbert Neon nur dankbar sein, dass er täglich bis zu zehn Stunden die alten Fotos eingescannt hat, um im neuen Buch „Wir waren Disco“ auf 166 Seiten Stadtgeschichte at his best zu präsentieren.

Die Kleidung, die Frisuren, die zur Schau gestellte Erotik – was für ein Vergnügen! Der 1963 geborene Andreas „Bär“ Läsker, Manager der Fantastischen Vier, war in Stuttgart als DJ mit Platten unterwegs, was Schwerstarbeit war. Denn Kisten mussten geschleppt werden, es gab keine Sticks, mit denen Tausende von Titel transportiert werden konnten. Der coolste Laden der 80er war für ihn das Oz – mit dem wohl besten Stuttgarter DJ aller Zeiten, mit Lupus Horlacher. Fürs Buch hat „Bär“ so tolle Texte geschrieben, dass man gleich reinrutscht in eine Zeit, in der eine der Devisen lautete: „Ich will Spaß, ich geb’ Gas.“ Temporeiche Jahre waren’s – mit Lebenslust, aber auch Furcht (nach Tschernobyl und vor Atomwaffen). „Bär“ nennt die Namen der Discos, von denen kaum noch welche – mit Ausnahme der Boa und des Perkins Park – existieren: Musicland, AT, Roxy, Flic Flac, Don Quichote, Galaxis, Unbekanntes Tier, Maxim Gorki, Olymp, Tanzpalast, Skylab, Ufo, Red Dog, Tao – geht grad so weiter. Dank dieser Namen geht vielen das Herz auf. „Die Disco-Dichte war legendär“, sagt Läsker.

Norbert Neon hat „Stuttgarts Kultbarfrau Gabi“ fotografiert. Aber auch Michael Gaedt (mit Theaterhaus-Kasse-Legende Buffy am Motorrad), der mit „Lieber doof sein als Gabi heißen“ einen Hit landete. Und er brachte „das Ärschchen des Monats“, was er „auf keinen Fall“ mehr tun würde. Sexismus wird, anders als in den 80ern, zu Recht nicht mehr hingenommen. „Die Initiative ging von den Barfrauen aus“, sagt der Fotokünstler, „die wollten unbedingt mit ihrem Po ins Heft.“

Sein Atelier befindet sich heute in Wutach im Schwarzwald. Vor einigen Jahren hat er Tausende von Negativen der Discozeit vernichtet, um mit dieser Zeit abzuschließen. Heute ärgert sich Neon darüber. Mit „Bär“ hat er aus den verbliebenen Archivschätzen jene Aufnahmen ausgesucht, auch unscharfe, die das Gefühl jener Zeit am besten rüberbringen. Die „Ausgehszene“ überschreitet schon mal Grenzen von Scham und Tabu, weil diese Provokation einigen guttat.

Als 2003 Gruner & Jahr ein Magazin für junge Menschen unter dem Titel „Neon“ und dem Claim „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ herausbrachte, verklagte der Stuttgarter Fotograf das Medienhaus – hatte aber gegen die Armada der Anwälte keine Chance.

In seinem Buch findet sich eine schöne Anekdote über den 2021 verstorbenen Big Tom Yardley, der die Freiheit liebte, in Discos nackt zu sein. Im Sonnenberger Hallenbad traf Neon ihn einst zufällig. Yardley wollte sich ablichten lassen, also holte der Fotograf die Kamera aus dem Auto. Es war kein FKK-Tag, sondern Familientag. Big Tom zog trotzdem den Tanga runter, legte ihn an den Beckenrand. Die Fotos wurden schnell gemacht, bevor die Badeaufsicht wütend herbeieilte. Big Tom war bereit, sich wieder anzuziehen – doch Kinder hatten sich den Tanga zum Spielen geschnappt und wollten ihn nicht hergeben.

Durchaus erwachsen geworden sind die, die Disco waren. Sie brauchten die wilde Zeit der 80er, um das zu werden, was sie sind.