Keine Schuhe für jeden Tag: Chopine aus dem 16. Jahrhundert. Foto: Irmgard Sedler

Statussymbol, Identitätsmerkmal, Zeitgeist: Irmgard Sedler, die frühere Leiterin der Städtischen Museen Kornwestheim, hat ein Buch über den höfischen Schuh in Barock und Rokoko geschrieben.

Kornwestheim - Ausgiebig hat sich Irmgard Sedlermit der Schuhsammlung des Museums Schloss Neu-Augustusburg in Kornwestheims Partnerstadt Weißenfels beschäftigt. Die Ergebnisse ihrer Forschungen über die Schuhe aus dem Barock und Rokoko hat sie auf 230 Seiten in dem Buch „Noblesse & Raffinement“ vorgelegt. Drei Jahre lang hat Sedler, die vor gut einem Jahr in den Ruhestand gegangen ist, an dem Buch gearbeitet. Im Interview erzählt die Wissenschaftlerin von ihrer Forschungsarbeit.

Frau Sedler, muss man als Museumsleiterin in Kornwestheim automatisch auf den Schuh kommen?

Eigentlich ja. Ein Museumsmensch geht immer von dem aus, was er am Ort vorfindet. In Kornwestheim gab’s ja nicht nur die Firma Salamander und daher enge Verknüpfungspunkte zum Thema Schuhe, sondern die Stadt hat auch eine Partnerschaft mit einer anderen Schuhstadt, nämlich Weißenfels an der Saale. Dort findet sich eine der wichtigsten europäischen Sammlungen für Barock- und Rokokoschuhe.

Vor Ihrem Wechsel nach Kornwestheim hat Sie das Thema Schuhe nicht beschäftigt?

Das kann man so nicht sagen. Die Modegeschichte war immer schon mein wichtigstes Forschungsgebiet, ich habe über Kleidung promoviert. Der Schuh gehört dazu und ist genau wie die Kleidung nicht nur eine Hülle, sondern Statussymbol, Identitätsmerkmal, Zeitgeist.

Wie wichtig war den Menschen im Barock und Rokoko der Schuh?

Ich habe mich für das Buch auf den höfischen Schuh konzentriert. Und der war für den Adel zunächst einmal par excellence ein Unterscheidungsmerkmal von allen anderen, ein Standesmerkmal eben. Es gab jahrhundertelang Bevölkerungsschichten, bei denen Schuhe zu haben keine Selbstverständlichkeit war. Was hinzukommt: Der Modeschuh des Barock vor allem hat Europa modegeschichtlich geeint, weil über den ganzen Kontinent hinweg, nach französischem und später englischem modischen Vorbild, alles nachgemacht worden ist.

Sie stellen in Ihrem Buch an die 80 Schuhe aus dem 17. und 18. Jahrhundert vor. Handelt es sich dabei um Einzelstücke?

Ja, denn eine Massenproduktion, wie sie sich erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika durchsetzte, gab es im Barock noch nicht. Wohl aber auf Vorrat gearbeitetes, schön besticktes Vorderblattleder. Die meisten adligen Damen ließen sich die Schuhe überwiegend aus dem Stoff fertigen, aus dem auch ihr Kleid war.

Waren die Schuhe mehr Handwerk oder mehr Kunst?

Beides. Es handelt sich um gutes Kunsthandwerk, hergestellt von spezialisierten Hofschuhmachern. So wie die Schuhe im Buch abgebildet sind, fehlt den meisten übrigens ein entscheidendes Teil, die Schnalle, die mitunter mit Edelsteinen besetzt war und mehrfach am Tag getauscht wurde.

Die Schuhe, die Sie in Ihrem Buch zeigen, sehen allesamt nicht sehr bequem aus.

Für unsere Verhältnisse sicherlich nicht. Aber Schönheit hat schon immer wehgetan. Das ist heutzutage nicht anders, wenn Sie an die jungen Frauen denken, die für ihre Traumfigur hungern.

Weiß man, wie man sich in diesen Schuhen bewegt hat?

Man musste sich auf diesen so genannten Gesellschaftsschuhen ja gar nicht viel bewegen. Das sind keine Schuhe für die Straße, sondern für den Salon und allenfalls für den Weg bis zur Kutsche, der aber auch mit Teppich ausgelegt war.

Wie kommen Sie an Ihr Wissen über die Schuhe?

Ich habe mich schon in den frühen 1980er Jahren mit Kleidung und folglich auch mit historischen Stoffen beschäftigt. Mir ist es wichtig, nicht nur das Ästhetische zu betrachten, sondern auch mit der Technik vertraut zu sein, mit der die Kleidungsstücke hergestellt werden. Ich habe selbst am Webstuhl gesessen. Dieses Wissen aus vielen Jahren hat mir bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Weißenfelser Schuhsammlung sehr geholfen. Ich habe eine Reihe von Schuhen immer wieder zur Hand genommen und mich intensiv mit den Stoffen, der Machart und der modischen Aussage beschäftigt, die darin verarbeitet worden sind. Und man darf nicht vergessen: Ich hatte gute Lehrer in Sachen Schuhtechnik.

Nämlich?

Der eine war Roland Epstein, der an der Salamander-Werkschule unterrichtet hat, und der andere war Wilfried Schreier, Oberingenieur und zu DDR-Zeiten Abteilungsleiter im Forschungsinstitut für Schuhtechnologie in Weißenfels. Ich habe mir vieles angelesen – nicht nur zu barocken Schuhen, sondern für die Ausstellung „Von J. Sigle & Cie. zur Marke Salamander“ auch zu den Produktionstechniken während der Anfänge der Industrialisierung.

Wie viel Arbeit steckt in dem Buch?

Drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Ich habe jeden Schuh in die Hand genommen und detailliert begutachtet. Und wenn ich mir beispielsweise über Lederarten unsicher war, dann habe ich mir die Expertise von Walter Geist eingeholt, der früher auch bei Salamander in Kornwestheim gearbeitet hat.

Wie beurteilen Sie die Schuhsammlung in Weißenfels?

Es ist ohne Frage eine der best bestückten und umfangreichsten Schuhsammlungen in Deutschland – übrigens nicht nur für das Zeitalter des Barock. Und sie wächst noch ständig. Mir tut es jetzt noch leid, dass der Kornwestheimer Verein für Geschichte und Heimatpflege seine Sammlung – wenn er sie schon nicht in der eigenen Stadt halten will – nicht nach Weißenfels gegeben hat. Warum gibt man sie irgendeinem Museum, das mit Kornwestheim nichts zu tun hat? Was in der Stadt weiter verbleibt, ist die bescheidene Schuhsammlung von knapp 100 Exemplaren, die ich für das Museum im Kleihues-Bau gesammelt habe.

Hätten Sie gerne im Barock gelebt und diese Schuhe gehabt?

Solche Schuhe zu besitzen, das allemal. Aber im Barock zu leben? Herr behüte. Das Idealbild, das uns die schönen Porträts und Salonschuhe vermitteln, entspricht nicht im Geringsten der Alltagswirklichkeit.