Herder-Verlag, Freiburg/Breisgau. 301 Seiten. 22,99 Euro Foto:  

Die Historikerin Eva Rincke hat das Leben von Joseph Pilates mit all seinen Wendungen recherchiert, der in Amerika mit seinem Fitness-Programm zahlreiche prominente Bühnengrößen begeisterte.

Stuttgart – Für einen Gesundheitsapostel lebt er keineswegs abstinent. Joseph Pilates trinkt. Er raucht. Schlimmer noch: Wenn ihm mal eine griffige Klientin unter die Finger kommt, kann er sich selbst im hohen Alter nicht beherrschen: Den eigenen Leib heiligend, kennt sein missionarischer Eifer manchmal kein Halten mehr.

Fasziniert von einem Turner, der Bier braute, von einem Boxer, der den Beckenboden trainierte, und einem Schulschwänzer, der Schiller und Schopenhauer zitierte, beginnt Eva Rincke eigenen Worten zufolge zu recherchieren und deckt bei ihren Nachforschungen nicht nur weitere Widersprüche auf, sondern spürt eine Menge Material auf, das am Ende das Phänomen Pilates viel plastischer erscheinen lässt als in vielen anderen Biografien. Auf rund 300 Seiten blättert die Stuttgarter Historikerin ein Schicksal auf, das sich eigentlich erst nach seinem Tode 1967 wirklich erfüllt. Sie beschreibt die ärmlichen Verhältnisse, denen der 1883 in Mönchengladbach Geborene entstammt, beschreibt die Zeit in England zwischen 1912 und 1918 als „nicht feindlicher Ausländer“, die der Deutsche in einem Internierungslager erlebt. Überaus anschaulich macht Rincke die Jahre von 1926 an in New York, in denen sein „Reformer“, ein noch im Vorkrieg-Deutschland patentiertes „Körperübungsgerät“, Bühnengrößen jener Zeit wie Ruth St. Denis oder Hanya Holm zum physischen Erfolgserlebnis verhilft.

Stars wie Katharine Hepburn oder Vivian Leigh geben sich in seinem Studio die Hand. Musiker wie George Gershwin oder Yehudi Menuhin schwören auf „Contrology“, wie Pilates sein Fitness-Programm bezeichnete. Und im Gefolge von Tanzgrößen wie George Balanchine bis Ted Shawn profitieren bis heute ganze Tänzergenerationen von dem „Mann, dessen Name Programm wurde“, wie Rincke ihr Buch über Pilates im Untertitel nennt. Nicht zuletzt in Stuttgart, wo Pilates insofern seine Spuren hinterlassen hat, als Romana Kryzanowska, seine Nachfolgerin, als eine der Ersten in Deutschland Davorka Kulenovic in die Methodik eingewiesen hat: Sie trainiert bis heute Pilates aus erster Hand im Stuttgarter Osten.