Eine Krähe hat eine Stuttgarterin auf dem Karlsplatz angegriffen (Archivfoto). Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wenn Vögel brüten, sind sie wie alle Eltern. Dann verteidigen sie ihren Nachwuchs. Das kann für Passanten schmerzhafte Folgen haben, wie eine Stuttgarterin erlebte.

Stuttgart - Der erste Gedanke war: „Oh nein, ein Überfall!“ Erst dann hat Andrea Deininger (Name geändert) gemerkt, dass ihr niemand eine übergezogen hatte, sondern eine Krähe einen Angriff gestartet hatte: „Sie hatte erst mit den Krallen nach mir geschlagen, dann hackte sie noch mit dem Schnabel“, berichtet die 40-jährige Redakteurin. Die Krähe habe dann noch einmal gegen den Arm gehackt, das habe trotz Jeansjacke zu einem blauen Fleck geführt. Andrea Deininger hatte sich gerade gebückt, um nach einem Rundgang durch das neu eröffnete Dorotheen-Quartier ihr Fahrrad aufzuschließen. Sie wollte zurück an den Schreibtisch und für ihre Zeitung eine Geschichte über das Viertel schreiben. Aber die Kollegen mussten dann erst mal warten, bis sie die Fotos und den Text bekamen. „Ich bin noch in den Westen geradelt, bevor ich gemerkt habe, dass ich nicht schwitzte, sondern mir Blut über den Kopf lief“, berichtet Deininger. Da ihr Arzt bereits geschlossen hatte, bekam sie in einer Apotheke Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel und Erste Hilfe. „Ich musste die Wunde danach noch sechs Tage lang desinfizieren“, schildert die 40-jährige Redakteurin. Genäht werden musste nichts. Zwei Kratzer rührten von den Krallen des Vogels, einer vom Schnabel.

Jedes Jahr wird etwa eine Handvoll Fälle registriert

Der Fall ist beim Ordnungsamt aktenkundig. „Wir haben jedes Jahr etwa eine Handvoll solcher Fälle“, sagt Stefan Praegert vom städtischen Ordnungsamt. Aktuell habe er aber keine weiteren Meldungen als den Fall vom Karlsplatz vorliegen. „Die Vögel brüten zurzeit und sind deswegen aggressiver als sonst. Sie verteidigen ihren Nachwuchs“, erläutert er. „Das sind wilde Tiere, da können und wollen wir nichts machen“, sagt Praegert. Es gelte, immer abzuwägen zwischen Tierschutz und der Sicherheit der Menschen. Dem Eingreifen seien enge Grenzen gesetzt: Wenn man etwas tun könnte, dann dürfte man die Tiere höchstens einfangen und an einen anderen Ort bringen. „Aber da müsste man dann sowohl die Mutter als auch den Nachwuchs erwischen, das wäre extrem schwierig, nahezu unmöglich“, sagt Stefan Praegert. Deswegen könne man nur warnen und den Fußgängern raten, zu Bäumen Abstand zu halten, in denen große Vögel nisten.

Andrea Deininger vermutet, dass der Vogel in ihrem Fall so reagierte, weil just an jenem Morgen mit der Eröffnung des Dorotheen-Quartiers zum ersten Mal seit langer Zeit die Karlstraße wieder offen gewesen sei. „Der Vogel hatte wohl die ganze Zeit seine Ruhe gehabt“, sagt sie. Ein paar in der Nähe lagernde Obdachlose hätten berichtet, dass sie schon mehrere Angriffe beobachtet hätten, fügt Deininger hinzu.

Die Vögel brüten im Mai und im Juni

Zu Attacken von Rabenkrähen komme es vor allem im Mai und Juni, sagt Stefan Bosch, der Fachbeauftragte für Ornithologie und Vogelschutz des Naturschutzbundes (Nabu) in Baden-Württemberg. Meist bleibe es bei Scheinangriffen, „aber Berührungen mit Flügel, Füßen oder Schnabel sind möglich“, erläutert er. Auch Katzen und Hunde können in der Brutzeit angegriffen werden. Primär wollten die Vögel vermeintliche Feinde abschrecken. „Sobald die jungen Vögel größer werden, erlischt das Abwehrverhalten wieder“ sagt Bosch. Bei Vogelarten wie der Krähe oder dem Mäusebussard, die während eines kurzen Zeitraums ihr Territorium verteidigen, sollte man dieses in der Brutzeit am besten meiden. In der freien Natur seien vor allem Marder und Füchse die Feinde der Vögel. Wenn man doch angegriffen werde, sollte man sich zurückziehen, und zwar in die Richtung, aus der man gekommen ist. Besonders betont der Experte, dass man Vögel in der Stadt auf gar keinen Fall füttern solle. „Das kann die Vögel zu aggressiven, Futter verlangenden Tyrannen machen", sagt Stefan Bosch.