Während Filial-Bäckereien allerorten schließen, gibt es eine Renaissance des Handwerks. Auch in Stuttgart eröffnen immer mehr Manufakturen. Die Brotbegeisterung wird immer größer, der Preis stetig höher. Ist das bloß ein kurzer Trend? Oder ein Weg zu mehr Wertschätzung?
Stuttgart -
Sophie Henne steht in der kleinen Backstube im Stuttgarter Lehenviertel und faltet den Teig auf der Arbeitsfläche. Bloß nicht kneten. In den Wannen ruht noch mehr Masse, die Brot-Laien fast schon zu flüssig erscheint, um daraus am nächsten Tag ein rundes, prachtvolles Weizenbrot zu backen. Hier in der Brotiquebraucht es Zeit, viel Zeit, bis ein Brot fertig ist. „Das Falten tut dem Brotteig gut“, erklärt die 30-jährige Bäckermeisterin. Und mit ihrer Liebe zum Sauerteig ist sie nicht alleine.Sophie Henne steht in der kleinen Backstube im Stuttgarter Lehenviertel und faltet den Teig. Bloß nicht kneten. In den Wannen ruht noch mehr Masse, die Brot-Laien fast schon zu flüssig erscheint, um daraus ein rundes, prachtvolles Weizenbrot zu backen. Hier in der Brotique braucht es viel Zeit, bis ein Brot fertig ist. Mit ihrer Liebe zum Sauerteig ist die 30-jährige Bäckermeisterin nicht allein.
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In den vergangenen Jahren hat sich ein wahrer Hype ums Brot entwickelt. In der Schweiz gibt es ein Hotel, in dem die Teige Urlaub machen können, solange die Besitzer in ebenjenem weilen. In jeder großen Stadt quer durch die Republik gibt es Manufakturen, die „Brothandwerk“, „Joonas Brotbude“, „Prôt“ oder „Brotpuristen“ heißen. Das Eldorado für alle Brotaficionados ist natürlich die hippe Hauptstadt. Was alle Brothandwerker eint: Die Auswahl ist übersichtlich, die Rohmaterialien sind hochwertig, die Zutaten, soweit es geht, regional.
Bald auch in Stuttgart: Zeit für Brot
Der Name der Manufakturkette „Zeit für Brot“ mit Filialen in Berlin, Frankfurt, Hamburg und bald auch in Stuttgart spricht für sich und ist Programm; denn was all’ die neuen Bäckereien dem Teig zugestehen, ist Zeit. Getreu dem Motto: Gut Brot will Weile haben. Was die einen als Hipster-Trend abtun, ist für die anderen schlichtweg eine Offenbarung: gutes Brot. Der Zubereitungsprozess, die Gärzeit und das Backen sind eine Wissenschaft für sich. Viele Hobbybäckerinnen und Freizeit-Teigspezialisten wissen das: So ein selbst angesetzter Sauerteig braucht Pflege. Das eigene Brot zu backen, dem Sauerteig im Kühlschrank einen Namen zu geben(„Brothilf“ zum Beispiel) und zuzuschauen, wie er Blasen wirft, ist einer der vielen Do-it-yourself-Trends, die Corona hervorgebracht hat.
Kaum ein Verlag, der in den vergangenen Jahren kein Brotbackbuch auf den Markt gebracht hat. Daniel Leader beispielsweise gilt als Pionier in Amerika. Seine Bäckerei „Bread Alone“ hat Kultstatus. Wer es nicht zu ihm in die New Yorker Catskill Mountains schafft, backt eben auf der Schwäbischen Alb nach seinen Rezepten mit Zeitangaben, die sich zwischen 18 und 25 Stunden bewegen.
Taugt das gar als Zukunftsmodell?
Auch in der Brotique im Stuttgarter Lehenviertel braucht es neben Wissen, Kniffs und Können vor allem Zeit. Vier sortenreine Teige haben Sophie und Julius Henne im Repertoire: Dinkel-, Roggen-, Weizen- und einen süßen Teig. Daraus entstehen alle Produkte. „Alle sind nur mit Sauerteig gelockert“, erklärt Sophie Henne und zeigt den Dinkelvollkornsauerteig im Glas, der gerade aufgefrischt wurde und noch keine Blasen wirft. Ihr Arbeitstag hat heute um 6.30 Uhr begonnen. Im Vergleich zu herkömmlichen Bäckereien ist das spät. Oder taugt das gar als Zukunftsmodell?
Sophie Hennes Gespür für Brot
Über Nachwuchskräfte müssen sie sich hier keine Sorgen machen. Viele Menschen mit unterschiedlichem Werdegang bewerben sich. Sie wollen hier ihre Arbeit mit einem Privatleben vereinbaren. Die Kundschaft, die ab 10 Uhr Schlange steht, sieht, wie die Laibe gebacken werden. „Warmes Brot hat etwas Magisches“, so Sophie Henne, die sich inmitten der Pandemie mit ihrem Mann, studierter Bioingenieur und zuletzt als freier Berater tätig, selbstständig gemacht hat. Sie kam zum Brot über einen Schlenker: Mit guten Noten im Abitur studierte sie Betriebswirtschaftslehre in München, merkte aber schnell: Glücklich machte sie das nicht. Backen aber schon. Also absolvierte sie eine Ausbildung in Bayern, ging nach Berlin, um dort in den angesagten Bäckereien zu lernen. In der Hauptstadt war gerade der Hype um Sauerteig am Gären: „Da habe ich verstanden, dass es ganz ohne Hefe geht. Dass man sogar Brezeln oder schwäbische Seelen aus Sauerteig machen kann“, erzählt Henne begeistert. Sie weiß viel über Säure und Enzyme, über Gluten und Stoffwechsel, Klebereiweiß und Bioqualitäten.
Es braucht Gefühl und viel Wissen
Nach Meisterabschluss und Kreditanträgen konnten sie dann ihre Brotique im Sommer 2021 eröffnen. Ein gutes halbes Jahr später sind sie bereits zu acht, fünf Vollzeitkräfte und drei Aushilfen. Es brauche viel Gefühl und eine systematische Tabelle, in der dokumentiert wird, wann welcher Teig aufgefrischt wurde, wie die Temperatur von Teig und Raum, der pH-Wert war, welches Mehl verwendet wurde. Sophie Henne weiß, dass Brot gerade einen Hype erfährt und man privilegiert sein muss, um sich dieses Brot leisten zu können. „Natürlich trägt uns diese Welle mit. Man muss schauen, wie lange das hält“, so Henne. Hinter ihr auf der Tragetasche stehen die Worte: Getreide, Wasser und Salz. Mehr braucht es nicht. Und Zeit und Gespür für Teig. Vom Anfrischen des Sauerteigs bis zum fertigen Brot dauert es hier zwischen 24 und 36 Stunden. Die lange Fermentation gibt den Geschmack. „Jedes Produkt, das Zeit zum Fermentieren hat, wird am Ende besser“, so Henne. Ihr Mehl bezieht sie vor allem aus Schwäbisch Hall, die Eier direkt vom Hof auf der Alb.
Die Deutschen und ihr Brot
Die Deutschen und ihr Brot, das war schon immer eine besondere Beziehung. Kein Urlaub in Italien, Frankreich oder Amerika vergeht, in dem wir nicht das deutsche Brot und dessen Vielfalt vermissen. Während in jüngster Vergangenheit Brot und vor allem dem Gluten lange Zeit der Garaus gemacht wurde, so scheint es nun, äh, in aller Munde. Der Schein trügt aber: In den vergangenen Jahren mussten mehr Bäckereien schließen als neue eröffneten. Es gibt immer weniger Traditionsbetriebe, dafür immer mehr Industrieware und Aufbackstationen. „The public gets what the public wants“, hat Paul Weller mit The Jam schon 1979 gesungen, was heute immer noch gilt: „Das Volk bekommt das, was es möchte.“
Läuten die Manufakturen eine Trendwende ein?
Und im Fall von Lebensmitteln das, was es dafür bezahlt. Während die breite Masse im Discounter mit Greifzangen Aufbackware aus den transparenten Boxen angelt, lassen sich Kreative und Besserverdienende ihr Manufakturbrot in Papier einschlagen. Parka tragende Prenzlauer-Berg-Papas kennen sich bestens mit den Vorzügen von Wollseide-Bodys für die Kinder aus und wissen, welche Manufaktur gerade en vogue ist.
Gegessen wird immer, vor allem Brot. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks kennt die Zahlen: Der Verzehr stieg im Jahr 2020 auf knapp 56,9 Kilogramm Brot und Backwaren pro Haushalt in Deutschland. Zugleich sank aber die Zahl der Handwerksbäckereien in den letzten 60 Jahren von rund 55 000 Betrieben im alten Bundesgebiet auf gut 10 000 im heutigen Deutschland. Und dennoch: Vielleicht läuten die vielen kleinen Manufakturen, die zwischen Altona und Schwabing eröffnen, eine Trendwende zu mehr Wertschätzung ein? Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks gibt sich zuversichtlich. „Erfreulich ist die seit einigen Jahren relativ hohe Zahl von Neugründungen, darunter vermehrt junge, ambitionierte Bäckermeister und Bäckermeisterinnen mit innovativen Konzepten“, sagt Meike Bennewitz, Pressereferentin beim Deutschen Bäckerhandwerk. Die Entwicklung sei mit 400 bis 450 Neugründungen im Jahr stabil. Die Coronapandemie habe den Trend noch mal verstärkt.
Das Manufaktur-Brot hat seinen Preis
Obwohl das Brot seinen Preis hat. So startet das Weizenbrot mit 750 Gramm bei fünf Euro in den Berliner Brotbäckereien. Im Stuttgarter Lehenviertel zahlt man ab 5,50 Euro pro Laib. Sophie Henne will mehr als den Mindestlohn zahlen. Die Preise für Energie und Mehle sind überall gestiegen. Brot wird allgemein spürbar teurer. Und was auch steigt, sind andere Zahlen. Nicht nur die Produktion und die Preise von Backwaren nehmen zu, sondern auch, wie viel wir davon wegwerfen. Zeit, darüber nachzudenken.