A7-Reporter Jürgen Bock hat Deutschlands bekanntesten Wanderer getroffen: Brocken-Benno.

Wernigerode - Zwei Wochen ist unser Autor unterwegs auf Deutschlands längster Autobahn, der A7. Im Harz begleiten wir Benno Schmidt, genannt Brocken-Benno, bei seiner 5950. Tour auf den mit 1142 Metern höchsten Berg Norddeutschlands.

Ein Traumtag im Harz. Im Tal 16 Grad, auf dem windumtosten Brockengipfel eineinhalb Meter Schnee. Darüber tiefblauer Himmel. Und dazu ein Begleiter, der inzwischen als bekanntester Wanderer Deutschlands gilt. Während der vier Stunden langen Tour auf den Gipfel lernt man nicht nur eine Landschaft kennen, die schon Goethe fasziniert hat, sondern auch einen Menschen, dessen Passion danach gar nicht mehr so sonderbar erscheint.

Herr Schmidt, Ihre wievielte Tour auf den Brocken ist das heute?

Die 5950. Das sind über 80.000 Kilometer.

Seit über zwanzig Jahren steigen Sie fast täglich auf den Gipfel. Halten Sie manche für verrückt?

Nur missgünstige Leute lästern hinter meinem Rücken. Die meisten finden gut, was ich mache. Wenn mal einer aus Unkenntnis sagt, der ist verrückt, dann muss ich das akzeptieren. Ganz normal ist das ja auch nicht. Manche haben mir schon unterstellt, ich würde das alles nur behaupten. Aber ich sammele die Nachweise in Stempelpässen.

Sie haben prominente Fürsprecher.

Ich bin schon mit Edmund Stoiber und Christian Wulff unterwegs gewesen, allerdings sind die nur bergab gegangen. Die meisten Prominenten fahren mit dem Zug nach oben. Reinhold Messner habe ich unterwegs mal getroffen, der hat mir nachher geschrieben: Du bist auf dem richtigen Weg. Außerdem gibt es genug andere, die noch verrückter sind als ich. Ein Arzt aus Wernigerode joggt in der Mittagspause immer auf den Gipfel und widmet sich danach wieder seinen Patienten. Ein Nachtwächter aus Leipzig hat mir mal unterwegs ein Ständchen auf der Mundharmonika gespielt und ein Pfarrer aus Stuttgart mitten im Wald Gottes Segen erteilt.

Von Schneebergen so wie heute lassen Sie sich nicht abschrecken?

Ich gehe bei jedem Wetter, auch wenn ich zugeben muss, dass es bei Regen und Matsch nicht viel Spaß macht. Dieser Winter war von der Schneelage her eher unterdurchschnittlich, wir hatten früher auch schon drei Meter. Wenn der Sturm richtig tobt, ist alles so weiß, dass es dunkel wird. Da habe selbst ich schon die Orientierung verloren.

Was sagt Ihre Frau dazu, dass Sie sich auf solche Abenteuer einlassen?

Am Anfang gab's Ärger, weil ich so oft weg war. Das hat sich aber geändert. Sie wandert selbst sehr gern und kommt einmal pro Woche mit - demnächst das 900. Mal.

Fasziniert vom Mythos Brocken

Sie steigen fast täglich auf den Brocken, haben nur wegen einer Krebserkrankung einmal sieben Wochen lang pausiert. Jeder fragt sich: Wieso tun Sie das?

Die Frage bekomme ich oft gestellt. Ich habe sechs Antworten darauf. Zum einen fasziniert mich der Mythos Brocken. Das ist ein Berg der Superlative, der höchste in Norddeutschland und der windigste in Europa. Zum zweiten habe ich große Freude an der Natur und bin schon immer gewandert. Dazu kommen die interessanten Begegnungen mit Menschen und die Tatsache, dass ich so etwas für meine Gesundheit tue. Zudem bin ich ein Vorbild für andere und ermutige sie zum Wandern. Und natürlich sind auch die immer neuen Rekorde reizvoll. Aber schon einer dieser Gründe würde mir genügen, um weiterzumachen.

Ihre Rekordjagd begann am 3. Dezember 1989, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Was geschah an diesem Tag, der Ihr Leben so verändert hat?

Am 13. August 1961 wurde der Gipfel mit dem Mauerbau in Berlin zum absoluten militärischen Sperrgebiet. Oben wimmelte es von Abhöranlagen. Der Brocken galt als wichtigster Spionageberg des Warschauer Pakts. Für uns war er ein ganz besonderer Berg, aber keiner durfte hoch. Darüber habe ich mich 28 Jahre lang geärgert. Nach dem Mauerfall blieb der Gipfel zunächst gesperrt, doch der Druck der Massen wuchs. Am 3. Dezember 1989 gab es eine Sternwanderung die Brockenstraße hinauf. Hunderte Menschen standen mehrere Stunden lang vor den Toren. Der Offizier war ratlos. Irgendwann öffnete er das Gitter einen Spalt - und alle drängten hinein. Wir haben an diesem Tag den Brocken befreit. Das war ein unglaubliches Glücksgefühl.

Das erklärt vieles - aber noch keine 5950 Aufstiege.

Am Anfang ist man einfach oft hochgegangen und hat dabei immer wieder dieselben Leute getroffen - aus Ost und West. Bei den Wanderern, das war das Schöne, gab es keine Mauer in den Köpfen. Wir sind heute noch wie eine große Familie. 1990 hat dann der Brockenwirt angefangen und Stempel für jeden Aufstieg verteilt. Das war der Beginn des Wettbewerbs. Am Anfang habe ich das verbissener gesehen als heute. Da bin ich fünfmal an einem Tag hoch, auch nachts, um vorne zu liegen. Irgendwann hatte ich alle überholt.

Aber Sie hatten Vorgänger.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es schon Rekordwanderer im Harz wie Brocken-Willy oder Brockengeist. Die besten kamen aus meiner Heimatstadt Wernigerode. Da dachte ich, einer muss diese Tradition doch fortsetzen, und wenn sich sonst keiner findet, mache das eben ich.

Stramm Richtung 6000

Inzwischen gelten Sie als Kultfigur, haben einen riesigen Fanclub und müssen Autogramme schreiben. Nervt das nicht?

Lästig wird mir die Popularität nicht. Ich freue mich immer, wenn ich Leute treffe. Einmal habe ich bei einem Radiointerview erzählt, dass ich am nächsten Tag um 9 Uhr starte. Daraufhin hat eine ganze Schulklasse auf mich gewartet. Man kann den Menschen viel Freude bereiten.

Wird es eigentlich nicht monoton, immer nur auf denselben Berg zu steigen?

Das mache ich ja nicht. Ich bin als Wanderführer im Harzklub auch sonst sehr viel im Harz unterwegs. Oft führe ich Gruppen durch den Nationalpark. Nach der Wende war ich in den Alpen, in Südafrika, Skandinavien, Kanada, Ägypten und den USA.

Ihr Herz aber gehört dem Brocken - und einem ganz besonderen Projekt.

Ich habe den Harzer Grenzweg ins Leben gerufen. Da gab's am Anfang viel Widerstand, weil kein Geld da war. Das Projekt wäre fast gestorben. Da kannten die aber den Benno schlecht. Mit viel Beharrlichkeit wurde die Idee doch umgesetzt. Heute ist die Strecke 90 Kilometer lang und das Rückgrat des "Grünen Bandes" im Harz.

Sie gehen stramm auf die 6000 zu. Haben Sie diese besondere Tour schon geplant?

Ich werde am 22. Mai 78 Jahre alt und wollte das Jubiläum an diesem Tag begehen. Das ist aber Pfingstsamstag, da ist es auf dem Brocken sehr voll, und ich kann nicht auch noch mit 200 Leuten kommen, die mich wohl begleiten werden. Deshalb habe ich die Tour um einen Tag vorverlegt. Die ersten Wanderer haben mich schon im Januar angerufen und gefragt, wann es so weit sei.

Und jetzt müssen Sie wegen der Vorverlegung eine Sonderschicht einlegen?

Im Gegenteil. Ich bin meiner Zeit voraus. Ich werde wohl zehn Tage pausieren müssen, um die 6000 nicht zu früh zu erreichen.

Das klingt nicht so, als hätten Sie vor, jemals mit Ihrer Passion aufzuhören.

Ich hatte mir mal überlegt, vielleicht nur noch fünfmal die Woche hochzugehen. Aber dann schien die ganze Woche lang die Sonne. Welche Tage hätte ich da weglassen sollen? Nein, ich höre erst auf, wenn ich umfalle.