Theresa May verlässt Downing Street 10 – kann sich in ihrem Amt der Premierministerin aber noch halten. Foto: AP (3), picture alliance

Rebellion in der eigenen Partei, Widerstand des Bündnispartners und der Opposition, Pläne für einen Sturz der Regierungschefin: Die Brexit-Vereinbarung und der Posten der britischen Premierministerin sind in akuter Gefahr.

London - Inmitten tumultöser Ereignisse in London haben Tory-Hardliner gestern zum Sturz von Premierministerin Theresa May aufgerufen. Sie planen einen Misstrauensantrag in der Fraktion. Rufen nach ihrem Rücktritt erteilte die Politikerin am Donnerstagabend jedoch eine klare Absage. „Werde ich das zu Ende bringen? Ja“, sagte sie auf Fragen nach ihrer politischen Zukunft. Sie glaube mit jeder Faser ihres Seins, dass der von ihr ausgehandelte Plan das Beste sei.

Die Erwartung einer Kampfabstimmung gegen May war gestern gewachsen, als der Sprecher der Anti-EU-Hinterbänkler der Tories, Jacob Rees-Mogg, in einem Brief an den zuständigen Fraktions-Ausschuss eine Misstrauens-Abstimmung forderte. Der sogenannte „1922er-Hinterbänkler-Ausschuss“ muss eine Abstimmung ansetzen, sobald 48 der 316 Tory-Abgeordneten sie fordern.

Rees-Mogg, der die unnachgiebigsten Brexiteers anführt, die sich in der „Europäischen Forschungsgruppe“ gesammelt haben, hatte bisher nur eine Kursänderung von May, nie aber ihre Ablösung verlangt. Seit Veröffentlichung des Brexit-Vertragsentwurfs wirft Rees-Mogg der Premierministerin aber vor, ihr Wort gegenüber den Brexiteers gebrochen zu haben.

Das Pfund stürzte an der Börse ab

Wie Rees-Mogg wollen auch andere Konservative May nun nicht länger an der Spitze dulden. Der Ruf nach ihrer Ablösung traf die Premierministerin zu einem Zeitpunkt beträchtlicher politischer Schwäche, nachdem am Donnerstagmorgen Brexit-Minister Dominic Raab zurückgetreten war. Raab erklärte, es sei ihm nicht möglich, Mays Deal mit der EU „guten Gewissens“ zu vertreten. Die Bedingungen des Deals stünden „nicht in Einklang mit den Versprechen, die wir unserem Land bei den letzten Wahlen gemacht haben“, sagte der Minister.

Raab ist bereits der zweite Brexit-Minister, der im Streit mit May hinwirft. Im Juli hatte sein Vorgänger David Davis das Amt abgegeben. Nach Raabs Rücktritt stürzte das Pfund an der Börse gegenüber Dollar und Euro ab. Auch Arbeitsministerin Esther McVey und eine Anzahl von Regierungsmitgliedern auf nachrangigen Posten reichten am Donnerstag ihren Rücktritt ein. Andere Brexit-freundliche Minister entschieden sich jedoch dafür, fürs Erste auf ihren Posten zu bleiben. May-Loyalisten warfen ihren Parteikollegen vor, in einer schwierigen Situation zusätzliche Ungewissheit zu schaffen durch ihre Initiative zum Sturz Mays.

May suchte in einem dreistündigen Auftritt im Unterhaus ihre Position zu verteidigen und weitere Rücktritte zu verhindern. Sichtlich angeschlagen, aber ungebeugt, sagte sie, sie handle „voll im nationalen Interesse“. Sie räumte ein, dass die mit Brüssel getroffene Vereinbarung „für uns alle schwierige Entscheidungen“ erforderlich gemacht habe. Auch sie sei nicht mit allem glücklich. Aber das sei eben charakteristisch für einen Kompromiss. Im Grunde, meinte May, sei ganz klar, welche Wahl das Parlament habe: „Entweder wir entscheiden uns dafür, ganz ohne Deal auszuscheiden. Oder wir riskieren, dass es zu gar keinem Brexit kommt. Oder aber wir können zusammenstehen und den besten Deal unterstützen, den auszuhandeln möglich war.“

Britische Medien rechnen mit weiteren Rücktritten

Von vielen Kritikern in den eigenen Reihen musste sich May aber sagen lassen, ihr Deal sei unakzeptabel. Der frühere Tory-Parteivorsitzende Iain Duncan Smith erklärte, die Vereinbarung beschneide die Souveränität Großbritanniens so dramatisch, dass es sich nicht mehr auf eigene Faust aus diesem Deal lösen könne, während dem Land freistehe, zum Beispiel aus der Nato oder den UN auszusteigen. Mehrere Torys forderten wie Rees-Mogg Mays Abgang. Nur wenige Hinterbänkler sprachen sich offen für den Brexit-Deal aus.

Auf der Gegenseite erklärte Labour- Parteichef Jeremy Corbyn, „nach zwei Jahren verpfuschter Verhandlungen“ sei May nun mit ihrem Deal „in großem Stil gescheitert“. Labour werde für diesen Deal nicht stimmen können im Unterhaus.

Besonders gefährlich für May war die Reaktion der nordirischen Unionisten. Der Brexit-Sprecher der DUP, Sammy Wilson, sagte, Theresa May habe den Warnungen seiner Partei offenbar „überhaupt kein Gehör geschenkt“, bei der Vertragsaushandlung. Ohne die zehn DUP-Abgeordneten im Unterhaus kann May nicht regieren, da sie bei den Wahlen im Vorjahr die absolute Mehrheit verlor. Britische Medien rechneten derweil mit weiteren Rücktritten.