EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und die europäischen Länder drängen auf einen klaren Zeitplan für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Foto: AFP

Die britische Absage an die EU hat den Kontinent erschüttert. Wie geht es nun weiter? Premier Cameron hofft auch weiter auf gute Beziehungen. Doch die Europäer drängen erst einmal auf einen klaren Zeitplan für die Scheidung.

Brüssel - Wenige Tage nach dem Brexit-Schock zeigt die EU gegenüber ihrem Noch-Mitglied Großbritannien klare Kante: Kanzlerin Angela Merkel und andere Spitzenpolitiker warnten London vor Rosinenpickerei und verlangten eine zügige Eröffnung der Austrittsverhandlungen. Ein „doppeltes Spiel“ werde nicht akzeptiert, warnte Belgiens Premierminister Charles Michel am Dienstag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Dort wollten sich die Staats- und Regierungschefs am Abend von Großbritanniens Premier David Cameron die Vorstellungen seines Landes erläutern lassen. Bei dem Referendum hatten am Donnerstag 52 Prozent der britischen Wähler für einen EU-Austritt gestimmt.

Keine Sonderrolle

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte unmittelbar zuvor in einer Sondersitzung des Bundestags deutlich, dass sie Großbritannien keine Sonderrolle zugestehen will. „Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden“, sagte sie in ihrer Regierungserklärung. „Es muss und es wird einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der Familie der Europäischen Union sein möchte oder nicht.“ Zudem würden erst nach einer britischen Austrittserklärung Scheidungsverhandlungen aufgenommen - anders als sich das viele in London vorstellen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk plant bereits ein weiteres informelles Gipfeltreffen ohne Großbritannien. Dazu will er für September einladen, wie er ankündigte. Bereits an diesem Mittwoch tagen die Staats- und Regierungschefs in diesem neuen 27er-Format.

Vorwürfe gegen Cameron

Cameron musste sich von seinen europäischen Partnern schwere Vorwürfe gefallen lassen. „England ist zusammengebrochen“, mit seiner Politik ebenso wie der Währung, der Verfassung und der Wirtschaft, sagte der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Luxemburgs Premier Xavier Bettel warf Cameron vor, sein Land „aus nationalem politischem Kalkül“ in die aktuelle schwierige Lage gebracht zu haben.

Cameron selbst erklärte, er setze auch weiterhin auf eine enge Bindung seines Landes an die Europäische Union. „Ich hoffe sehr, dass wir bei Handel, Zusammenarbeit und Sicherheit eine Beziehung anstreben werden, die so eng wie möglich ist.“

Position klären

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker drängte bei einer Sondersitzung des Europaparlaments in Brüssel: „Ich möchte, dass Großbritannien seine Position klärt. Wir können uns nicht auf einen langen Zeitraum der Ungewissheit einlassen.“ Auch die EU-Abgeordneten verlangten in einer Resolution eine rasche Austrittserklärung Großbritanniens.

Wie die Kanzlerin erteilte auch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel Londoner Sonderwünschen eine Absage: „Was es nicht geben wird, ist die Idee von Herrn Johnson, dass man die schönen Dinge der Europäischen Union mitnimmt und die Verantwortung liegen lässt.“ Der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson war einer der Brexit-Wortführer. Das Brexit-Lager hatte angekündigt, etwa Zuwanderung selbst nach einem Punktesystem steuern zu wollen. Merkel besteht aber auf Weitergeltung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit, wenn die Briten Zugang zum Binnenmarkt behalten wollen.

Aufruf zur Geschlossenheit

Die übrigen EU-Mitglieder rief sie im Bundestag zur Geschlossenheit auf. „Die Europäische Union ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften“, sagte sie weiter.

US-Präsident Barack Obama, der sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt hatte, warnte die Europäer nun vor Hysterie. „Am besten sieht man das so, dass für das Projekt einer vollen europäischen Integration eine Pause-Taste gedrückt wurde“, sagte er dem Sender NPR und warnte vor Übertreibung. „Es gibt da so eine kleine Post-Brexit-Hysterie, als ob sich die Nato oder die transatlantische Allianz auflösen und jedes Land sich in seine Ecke zurückziehen würde. So ist das aber nicht.“