Die britische Premierministerin Theresa May führt ihr Land aus der EU heraus. Spaltet sie es auch? Foto: AFP

Die britische Premierministerin Theresa May hat vom Parlament freie Hand für die EU-Austrittsverhandlungen bekommen. Doch sie gefährdet damit die Einheit des Landes, analysiert der Londoner StZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher.

London - Den Bruch mit der EU will Theresa May noch in diesem Monat in die Wege leiten. Wohin die Reise geht, hat sie klargemacht. Jene, die sich gegen diese Reise sperrten, haben kein Gehör gefunden. Auch Schottland und Nordirland werden den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen müssen – obwohl sie beim Referendum im vergangenen Jahr für eine weitere volle Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestimmt hatten.

Für die schottischen und die irischen Nationalisten bildet dieser März einen entscheidenden Punkt in den Geschicken des Vereinigten Königreichs. Was sie als harsches Diktat eines englischen Nationalismus begreifen, wollen sie nicht länger akzeptieren. Trotz zahlloser Appelle hat in London niemand auf ihre Bedürfnisse, ihre Sorgen Rücksicht genommen. Nun suchen sie selbst, ergrimmt, nach der Ausgangstür.

Gewarnt hatten Brexit-Gegner ja schon lange vor der Gefahr einer solchen Entwicklung. Aber die Brexiteers wollten davon nichts hören. Für die Hardliner des konservativen Tory-Lagers spielte es keine Rolle, was die Mitbürger in den Randgebieten des Königreichs dachten. Die Angst der Iren vor neuer Spaltung ihres Landes und das Drängen der Schotten auf weitere Teilhabe an der EU fanden in der Brexit-Kampagne in England so gut wie keine Resonanz. In Schottland steht nun jedenfalls ein neues Referendum zur Trennung von England auf der Tagesordnung.

Der Zorn schottischer Nationalisten ist neu entfacht

Die Schotten stimmten im Juni 2016 mit 62 zu 38 Prozent gegen den Austritt aus der EU. Sie waren seither, auf der Suche nach Mitsprache, bloß auf Ablehnung gestoßen und von allen Entscheidungen ferngehalten worden. Das hat unter schottischen Nationalisten den Zorn über London neu entfacht. Zorn allein bringt natürlich keine Unabhängigkeit. In ganz Schottland stößt man auf Skepsis, was die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Alleingangs betrifft. Andererseits ist die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon eine formidable Kämpferin. Mit Mays hartem Brexit hat sie einen triftigen Grund für ihre Initiative gefunden. Und die Aussicht auf endlose Jahre brachialer Tory-Herrschaft in London schreckt viele Schotten.

Jenseits der Irischen See hat sich die Republikaner-Partei Sinn Féin von der schottischen Rebellion schon anstecken lassen. Sie will „so bald wie möglich“ ein Referendum zur Loslösung Nordirlands aus dem Vereinigten Königreich. Mit einem solchen Volksentscheid ist zwar nicht schnell zu rechnen. Aber ein Stimmungsumschwung bricht sich auch in der Provinz Bahn. Selbst nordirische Unionisten – die an der Union mit Britannien hängenden Protestanten – fragen sich immer öfter, was die Londoner Politik für sie bedeutet. Manche fürchten um freien Handel auf der irischen Insel und mit der EU. Andere sorgen sich um den Frieden in ihrer Heimat, falls ein harter Brexit neue Abgrenzungen erfordert. Für Nordirlands Nationalisten – die gesamte irisch-katholische Bevölkerung – ist Mays Politik ohnehin ein Schlag ins Gesicht. In ihrer Not haben sich Politiker in Belfast wie in Dublin für einen „Sonderstatus“ Nordirlands ausgesprochen, mit ungehindertem Zugang zur EU.

Die Premierministerin ignoriert die Warnzeichen

Es muss nicht so kommen, dass das Vereinigte Königreich wegen des Brexits zerfällt. Der Ausgang ist völlig ungewiss. Premierministerin Theresa May scheint allerdings die Warnzeichen an der schottischen und irischen Front ignorieren zu wollen. Wichtiger ist ihr, den kompromisslosesten ihrer Brexiteers zu folgen. Das Risiko, das sie damit eingeht, ist enorm. Ihr Vorgänger David Cameron verspielte in arroganter Leichtfertigkeit und aus Angst vor den Tory-Nationalisten die EU-Mitgliedschaft seines Landes. Theresa May kann nur hoffen, dass sie sich nicht genauso verschätzt hat wie Cameron. Denn sie setzt mit ihrer Strategie die Zukunft des Vereinigten Königreichs aufs Spiel.