Der Streit um den Brexit geht weiter - die Unternehmen der Region müssen sich vorbereiten. Foto:  

Auch nach der Brexit-Einigung machen sich viele Unternehmen in der Region Sorgen um einen EU-Austritt Großbritanniens. Der Ludwigsburger IHK-Präsident Albrecht Kruse hat vorsorglich für seine Firma in England Mitarbeiter eingestellt.

Kornwestheim - - Albrecht Kruse ist Geschäftsführer der Firma Sata in Kornwestheim. Das Unternehmen hat fast 300 Mitarbeiter, exportiert Lackierpistolen, Filter und mehr in die ganze Welt – auch nach England. Im Interview berichtet Kruse, der auch Präsident der Industrie- und Handelskammer Ludwigsburg ist, welche Auswirkungen ein harter Brexit auf örtliche Unternehmen hätte und wie er sich auf diesen „Worst Case“ vorbereitet hat.

Herr Kruse, wie begegnet Ihr Unternehmen einem möglichen harten Brexit?

Bisher haben wir unsere Lieferungen von Deutschland aus versendet. Doch in den vergangenen Monaten haben wir auch in England ein großes Lager aufgebaut, es liegt in Newmarket bei Cambridge. Von dort aus können wir das Vereinigte Königreich mit unseren Produkten direkt beliefern. Wir haben Waren für ein halbes Jahr dort gelagert, um die Versorgung unserer Kunden in jedem Falle sicherzustellen. England ist ein wichtiger Markt für uns.

Welche möglichen Probleme vermeiden Sie mit dem Lager in Newmarket?

Weder die Zollbediensteten am Hafen in Rotterdam noch der deutsche Zoll sind meiner Meinung nach gut vorbereitet auf einen möglichen harten Brexit. Vor allem zu Beginn würde sich die Abwicklung von Lieferungen aus England und nach England verzögern und verkomplizieren. Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Kunden beliefern können. Kleinere Firmen ohne Exporterfahrung hätten vermutlich noch stärkere Probleme als wir bei Sata. Das Vereinigte Königreich würde ja plötzlich zu einem ganz normalen Drittland.

Ihre Firma hat viel Erfahrung mit dem Warenverkehr in Drittländern.

Ja, wir exportieren in mehr als 90 Länder, das ist ein Erfahrungswert, ein Vorteil. In Großbritannien haben wir auch über das Lager hinaus Vorkehrungen getroffen, um unsere Lieferfähigkeit sicherzustellen. Wir haben Mitarbeiter eingestellt, unsere IT angepasst, können Rechnungen und Lieferscheine in England schreiben. Auch unseren lokalen Partnern im Handel haben wir nahegelegt, Lager aufzubauen. Deswegen sehen wir die nahe Zukunft gelassen, sind gut vorbereitet. Und dennoch . . .

.. . . bewerten Sie die fernere Zukunft anders?

Ja, die könnte betrüblich werden. Ich vermute, dass im Falle eines harten Brexits das Pfund schwächer wird, unsere Produkte für die englischen Kunden durch Zölle und Währungseffekte teurer würden. Darüber hinaus wird uns das Königreich als Mitglied in der europäischen Familie sehr fehlen und als Stabilitätspartner für Deutschland in der EU. Zum Glück werden die Briten auf jeden Fall in der Nato bleiben.

Haben Sie Verständnis für die so genannten Brexiteers?

Der Brexit war ein leichtfertig losgetretener Schritt, der sich jetzt fürchterlich rächt. Man hat sich mittlerweile eingegraben in Positionen, aus denen man nicht mehr herauskommt. Ich kenne Menschen in England, die das Thema Brexit in Diskussionen beim Abendessen mittlerweile grundsätzlich vermeiden, weil es sofort für schlechte Stimmung sorgt und die Fronten ohnehin so verhärtet sind. Viele Menschen in England sind wund, sie wollen jetzt einfach eine Lösung, ein Ende.

Wie bewerten Sie das Verhalten der politischen Beteiligten in der Brexit-Frage?

Ich habe, was die EU angeht, Verständnis für den Umstand, dass man anderen Staaten zeigen will: ,Seht, welch hohen Preis ihr bezahlen müsst, wenn ihr leichtfertig austretet.’ Gleichzeitig finde ich, dass das beste Klebemittel Freiwilligkeit ist. Was Labour-Chef Jeremy Corbyn und Theresa May da in England spielen, ist ein ‚Chicken Game’: Wer zuckt zuerst zurück? Bei diesem Spiel werden aller Wahrscheinlichkeit nach Menschen zu Schaden kommen. Das ist ein ganz großes Theater.

Wie geht es nun in Sachen Brexit und Europa weiter – auch aus der Sicht Ihrer und anderer deutscher Firmen?

Im Idealfall waren unsere ganzen Anstrengungen vergebens und es findet gar kein Brexit statt. Oder nur ein geregelter. Dann haben wir zwar umsonst investiert – wir würden uns aber dennoch über diesen Ausgang freuen. Es gilt nun, dass die politischen Entscheider mutige Schritte unternehmen, den Knoten durchschlagen und das Vereinigte Königreich in ein neues Referendum oder einen geordneten Brexit führen. Die Briten müssen nun wohl an den Europawahlen teilnehmen, das ist übrigens auch wie eine Art kleines Referendum. Man könnte an den Wahlergebnissen ablesen, in welche Richtung es nach dem Willen der Wähler gehen sollte.

Der Gesprächspartner

Unternehmer
Albrecht Kruse, geboren in Wuppertal, ist 61 Jahre alt, verheiratet und Vater von fünf Kindern. Seit dem Jahr 1998 ist er Geschäftsführer des Kornwestheimer Lackierpistolenherstellers Sata.

IHK-Präsident Im Frühjahr 2017 wurde Kruse als Nachfolger von Kreissparkassenchef Heinz-Werner Schulte Präsident der IHK-Bezirkskammer Ludwigsburg. Zu seinen Hobbies zählt er Joggen mit dem Hund, klassische Musik, Gospel-Chor und Bergwandern.