Die britische Premierministerin am Donnerstag in Brüssel. Foto: Getty Images Europe

Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen die britische Premierministerin wird ihr in Brüssel die Hand ausgestreckt. Doch die Hilfsbereitschaft hat auch klare Grenzen.

Brüssel/London - Die im Brexit-Streit in Großbritannien schwer bedrängte Premierministerin Theresa May kann beim EU-Gipfel am Donnerstag nur mit wenig Hilfe der europäischen Partner rechnen. Kanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs wollen zwar dazu beitragen, dass der EU-Austrittsvertrag eine Mehrheit im britischen Parlament findet und ein chaotischer Brexit Ende März 2019 vermieden wird. Der Spielraum ist aber denkbar gering.

Im Entwurf einer EU-Erklärung wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur zwar bekräftigt, dass man die umstrittene Garantieregel für eine offene Grenze in Irland möglichst gar nicht und wenn überhaupt nur „für eine kurze Zeit“ nutzen möchte. Die von Brexit-Hardlinern in London geforderte Befristung dieses Backstops will die EU aber laut Entwurf nicht zusagen.

May übersteht Misstrauensvotum

Regierungschefin May, die am Mittwochabend nur mit Mühe ein Misstrauensvotum überstand, dürfte damit einer Zustimmung im Unterhaus kaum näher kommen. An der EU-Erklärung wurde am Donnerstag noch gefeilt. Die letzte Fassung sollen die EU-Staats- und Regierungschefs erst in der Nacht zum Freitag fertigstellen. May sagte am Donnerstag in Brüssel, sie rechne nicht mit einem unmittelbaren Durchbruch, aber sie hoffe „so schnell wie möglich“ an den notwendigen „Zusicherungen“ arbeiten zu können.

Ziel des Backstops ist es, Kontrollen und Schlagbäume zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland in jedem Fall zu vermeiden. Andernfalls wird politische Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion befürchtet. Im Austrittsvertrag vorgesehen ist, dass ganz Großbritannien solange in der europäischen Zollunion bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist.

Heftiger Widerstandim britischen Parlament

Die Regelung trifft auf heftigen Widerstand im britischen Parlament und gilt als Hauptgrund, warum es dort bislang keine Aussicht auf eine Mehrheit dafür gibt. Die Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei stört unter anderem, dass Großbritannien in der Zollunion keine eigenen Freihandelsverträge abschließen kann.

May hatte eine für Dienstag vorgesehene Abstimmung im Unterhaus über den Brexit-Deal kurzfristig abgesagt, weil sich eine Niederlage abzeichnete. Sie musste sich darauf am Mittwoch einem Misstrauensvotum in der eigenen Fraktion stellen, das sie mit nur 200 zu 117 Stimmen überstand. Zahlreiche Abgeordnete, unter anderem Ex-Brexit-Minister Dominic Raab, stellten ihre Zukunft als Premierministerin in Frage. May denkt jedoch nicht ans Aufgeben.

Heiko Maas schließt Vertragsänderungen aus

May traf am Donnerstag noch vor dem Gipfel mit dem irischen Premierminister Leo Varadkar zusammen. Auch ein Gespräch mit EU-Ratspräsident Donald Tusk war noch „in letzter Minute“ geplant. Die EU signalisiert Entgegenkommen, allerdings in sehr engen Grenzen und ohne Vertragsänderung. Eine Befristung des Backstops, wie von britischen Abgeordneten gefordert, kommt EU-Politikern zufolge nicht in Frage.

Auch Bundesaußenminister Heiko Maas machte deutlich, dass Änderungen an dem eigentlichen Vertragstext ausgeschlossen sind. „Es gibt keine Grundlage dafür, dieses Abkommen wieder aufzudröseln“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im Bundestag. „Daran wird sich auch nichts ändern.“

Bundestag ebenfalls gegen Änderungen

Der Bundestag sprach sich klar gegen Änderungen am Brexit-Abkommen aus. Die EU sei schon jetzt an die Grenzen ihrer Verhandlungslinien gegangen, heißt es in einem Antrag, der am Donnerstag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD beschlossen wurde.

Maas nannte es „erfreulich“, dass May das Misstrauensvotum überstanden hat. „Das Ergebnis bietet aber keinen Grund, darauf zu schließen, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen im britischen Unterhaus gegenüber dem Austrittsabkommen irgendetwas verbessert hätte.“

Maas betonte, dass die Bundesregierung ihre Planungen für einen Brexit ohne Abkommen fortsetzen werde. Dieser schlechteste Fall sei aber weder im britischen noch im europäischen oder deutschen Interesse.

Angst vor ungeordnetem Brexit

Ein ungeordneter Brexit könnte Wirtschaftsvertretern zufolge spürbare Einschränkungen für britische Verbraucher bedeuten. Britische Häfen und Flughäfen wären bei einem ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU „komplett verstopft“ und Lieferketten vieler Unternehmen unterbrochen, warnte der Hauptgeschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer (IHK), Ulrich Hoppe, am Donnerstag im Südwestrundfunk (SWR).

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger brachte eine mögliche Fristverlängerung für den EU-Austritt ins Spiel. Man wolle den Brexit nicht verzögern. Andererseits sei es möglich, der britischen Regierung ein halbes Jahr Verlängerung zuzugestehen, das sei nicht das Problem, sagte Oettinger dem SWR am Donnerstag.

Sanktionen gegen Russland auf der Tagesordnung

Neben dem Brexit wollen die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem letzten Gipfel in diesem Jahr erstmals die Finanzplanung für die Zeit ab 2021 diskutieren. Umfang, Verteilung und Regeln des künftigen EU-Finanzrahmens sind höchst umstritten - auch weil der Brexit mittelfristig ein großes Loch in den EU-Haushalt reißen wird.

Oettinger hat vorgeschlagen, Gelder für Landwirte und strukturschwache Regionen zu kürzen. Investitionen in Bereiche wie Forschung, Jugend und digitale Wirtschaft sollen hingegen aufgestockt werden. Bislang ist dazu aber keine Einigung absehbar. Die Entscheidung soll wohl bis Herbst 2019 aufgeschoben werden.

Beschließen werden die EU-Staaten am Abend aller Voraussicht nach eine Verlängerung der in der Ukraine-Krise 2014 verhängten Sanktionen gegen Russland um sechs Monate. Besprochen werden soll dabei auch die jüngste Eskalation zwischen der Ukraine und Russland im Asowschen Meer.