Lebensmittel sind wegen ihrer Verderblichkeit schlecht lange lagerbar – doch, wenn sie im Lkw-Stau stehen, verderben sie auch. Foto: AP

Mittelständler, die teure Brexit-Vorbereitungen scheuen, sollten Alternativen haben. Es gibt viele gute Gründe, nach neuen Absatzmärkten zu suchen, meint Wirtschaftsredakteur Thomas Thieme.

Stuttgart - Wie soll man sich auf etwas vorbereiten, von dem man weder weiß, wann es passiert, noch, was genau passieren wird? Diese Frage müssen sich gegenwärtig alle Unternehmen stellen, die Waren nach Großbritannien liefern. Die hiesigen Hersteller, egal ob sie Puzzles, Schokolade oder Anzüge machen, tun gut daran, sich für den schlimmsten Fall zu rüsten: das Ende des freien Warenverkehrs.

Tag für Tag pendeln mehr als 10 000 mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und anderen Waren beladene Lastwagen zwischen dem europäischen Festland und der Insel. Der Hafen von Dover ist das Nadelöhr. Heute müssen täglich nur zwischen 300 und 500 Laster kontrolliert werden, die von außerhalb der EU kommen. Der zusätzliche Zollaufwand wäre gigantisch, sollte das Rad auf die Zeit vor 1992, dem Beitrittsjahr der Briten zum gemeinsamen Binnenmarkt, zurückgedreht werden.

Auch ein Ausfall des Brexit ist ein Szenario

Die Strategen in den Firmenzentralen müssen sich aber auch – das ist die nächste große Herausforderung – auf alle anderen Szenarien einstellen, bis hin zur Komplettabsage des britischen EU-Austritts. Man stelle sich vor, die Unternehmen schaffen containerweise Waren auf die Insel, weil sie die viel beschworenen Lkw-Staus bis nach Belgien oder Frankreich befürchten, und dann fällt der Brexit aus. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber eine Mischung aus umsichtiger, flexibler Planung und Besonnenheit ist der richtige Ansatz.

Doch es sind nicht nur der erhöhte Planungsaufwand und die Kosten für zusätzliche Lagerflächen, Personal und die Umstellung der IT, etwa die technische Anpassung der Zoll-Software, die die Unternehmen schultern müssen – was dem kleinen Mittelständler schwerer als dem Dax-Konzern gelingt. Im Falle eines harten Brexits kommen die Zollgebühren noch obendrauf. Ohnehin müssen die Hersteller ihre Preise erhöhen, um das schwache Pfund auszugleichen. Das alles sind gute Gründe, sich nach alternativen Absatzmärkten umzusehen. Und es führt einmal mehr vor Augen, über welchen volkswirtschaftlichen Irrsinn da in London verhandelt wird.