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Es ist eine harte Woche im Osloer Gericht. Tag für Tag schockiert Breivik mit neuen Grausamkeiten.

Oslo - Er hat es geahnt. „Die Richter und Zuschauer werden sich ihren Arsch ablachen und dich als lächerlich verspotten“, hat Massenmörder Anders Behring Breivik in seinem Manifest vorhergesagt. Gelacht wurde selten in den vergangenen Tagen im Osloer Gericht. Und doch hat Breivik recht behalten: Sein irres Weltbild stürzt ein. Er entlarvt sich selbst, stellt sich bloß. Seine Opfer beschreiben den norwegischen Attentäter bald als „lächerlich“. Er tut ihnen furchtbar weh, doch er verbreitet keine Angst mehr. Nur Abscheu. Der Killer schrumpft zusammen zu dem kleinen, blassen Menschen, der er ist.

Die Verhaftung markiere den Beginn der Propagandaphase, schreibt der 33-Jährige in seiner 1500 Seiten starken „Terror-Schule“. Der Prozess biete die perfekte Arena, in aller Öffentlichkeit mit den marxistisch-multikulturellen Regimen in Europa abzurechnen. Er will die Welt von seiner rechtsradikalen Ideologie überzeugen.

Die Norweger geben Breivik keine Bühne

Doch Breivik hat seine Rechnung ohne die Norweger gemacht, die ihm keine Bühne geben. Sie verfolgen den größten Strafprozess seit dem Zweiten Weltkrieg interessiert, aber gelassen. Schon nach zwei Tagen ist Breivik von den Titelseiten verschwunden. Besucherplätze im Gericht bleiben leer. Stattdessen stecken Rosen im Absperrgitter davor - seit den Anschlägen ein Zeichen für Offenheit und Demokratie.

Drinnen tut der Massenmörder alles, um als kalkulierender, logisch denkender, als psychisch gesunder Mensch zu erscheinen. Er will nicht in die Psychiatrie. Ob die Richter ihm Glauben schenken, sieht man den versteinerten Mienen nicht an. Die Angehörigen von Breiviks 77 Todesopfern beobachten jede Geste, jede Regung des Mörders - irgendetwas muss ihnen doch Antworten liefern.

Doch Breivik lässt sie vor allem ihre grausamsten Stunden noch einmal durchleben. Kühl findet er Worte für etwas, für das es eigentlich keine Worte geben kann. Den Massenmord an 77 unschuldigen Menschen. Die Schüsse in Kindergesichter. Hinrichtungen. Eigentlich hätten beim Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel und dem Massaker auf der Fjordinsel Utøya noch viel mehr Menschen umkommen sollen, betont er immer wieder. „Ich wollte alle töten.“

Viele Angehörige sehen Breivik nur durch einen Tränenschleier

Viele Angehörige sehen Breivik nur durch einen Tränenschleier. Sie scheinen sich auf jeden Atemzug konzentrieren zu müssen. Andere schließen die Augen gleich ganz. Doch die meisten halten durch. Sie sehen ein Video der gewaltigen Bombenexplosion in Oslo, Menschen fliegen wie Puppen durch die Luft. Sie lauschen einem Notruf von Utøya - hören Kinder sterben. Sie weinen - leise.

Als Breivik von seinem unfassbaren Massaker auf Utøya berichtet, halten sich die Überlebenden an den Händen. Er sei im Kampfmodus gewesen, behauptet der Attentäter, die Erinnerung lückenhaft. Die 28-jährige Torunn Kanutte Husvik sagt der Zeitung „VG“ später fassungslos: „Das ist das schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, und er erinnert sich nicht einmal.“

Der Massenmörder wirkt unmenschlich, kalt, viel zu ruhig. Er habe sich durch Meditation von allen Gefühlen distanziert, berichtet er. Nur deswegen könne er nach seinen Taten überhaupt weiterleben. Das erklärt vieles.

Es erklärt aber nicht die Lügen und inhaltlichen Fehler, die die Staatsanwälte aufdecken. Das angebliche Netz von „Tempelrittern“, einen Nasenbruch, von dem es keine medizinischen Unterlagen gibt, die norwegische Urbevölkerung, die gar nicht existiert. Das alles seien keine Lügen, nur eine „pompöse Darstellung“ in seinem Manifest, sagt Breivik. Und: „Machen Sie mich nicht lächerlich.“ Doch die Staatsanwälte demaskieren den Massenmörder, vermasseln ihm die Show.

Breivik ist sich des Leids, das er anrichtete, voll bewusst. „Ich würde es wieder machen“, sagt er immer wieder. Inzwischen aber hört ihm kaum jemand mehr zu. Viele Norweger machen, was Eskil Pedersen, der Anführer der von Breivik attackierten sozialdemokratischen Jugend, ihnen am ersten Prozesstag geraten hat: „Nutzt eure Zeit, um zu leben. Geht zur Schule, macht eure Hausaufgaben, stellt euer Leben nicht auf Pause. Konzentriert euch auf das Gute, habt Spaß.“ Er hätte ebenso gut sagen können: Vergesst diesen grauenhaften Typen - so schnell wie möglich, für immer.