So schmeckt also Fernweh. Ein bisschen nach Pfefferminze, ein bisschen nach Litschi, manchmal sogar nach Gletschereisbonbons. Im Stuttgarter Süden braut Daniel Bleicher (34) Bier nach amerikanischem Rezept.
So schmeckt also Fernweh. Ein bisschen nach Pfefferminze, ein bisschen nach Litschi, manchmal sogar nach Gletschereisbonbons. Im Stuttgarter Süden braut Daniel Bleicher (34) Bier nach amerikanischem Rezept.
Stuttgart - Kalifornien ist ganz nah. Man kann es riechen. Es duftet nach Malz, nach Pinie und nach Grapefruit, ungewohnte Gerüche hier im Heusteigviertel, wo Feinstaub die Nase peinigt und die Luft nach Autostadt stinkt. Doch schnuppert man hier nicht sogar Johannisbeere und Zitrus? Folgt man den Düften, landet man in einem Hinterhof in der Schlosserstraße. Hier liegt Kalifornien. Gut versteckt, einzig ein kleines Schild weißt darauf hin: Hier ist die Cast-Brauerei. Ca wie California, St wie Stuttgart.
Die Cast-Brauerei ist aber vor allem Daniel Bleicher. Seine Frau und seine Freunde gehen ihm zur Hand, aber man kann schon sagen: Daniel Bleicher ist eine Ein-Mann-Brauerei. Braumeister ist er mit einer Vorliebe für das obergärige India Pale Ale, na klar, aber auch Tüftler, Bastler, Fliesenleger, Werber, Verkäufer – und Putzfrau. „Soviel wie ich hier putzen muss, kann ich auch, wenn es mit dem Bier nicht mehr klappt, noch Putzfrau werden.“ Hygiene ist eben alles, wenn man mit Lebensmitteln hantiert. So hat er gerade eben die Kacheln des Brauraums mit Chlor sauber gemacht. Man könnte sagen, der amerikanische Traum stinkt.
„Ich putze echt mehr als ich braue“, sagt Bleicher. Und lacht. Wie er überhaupt viel lacht. Galgenhumor? Denn all zu lange ist es nicht her, dass die 600-Liter-Kühltanks kaputt gingen, und er Ersatz besorgen musste. Er baute einen kleinen Raum zum Kühlhaus um, besorgte gebrauchte 250-Liter-Tanks. Nun darf nichts mehr passieren, sagt Bleicher, „Reserven habe ich keine mehr, jetzt darf wirklich nichts mehr kaputt gehen, sonst muss ich aufhören.“
„Das schmeckt wirklich unglaublich vielfältig“
Um nicht missverstanden zu werden, diese Aussage musste man ihm förmlich abpressen. Er lacht lieber als dass er jammert. Klar, wer amerikanisches Bier braut, inhaliert dabei auch amerikanischen Optimismus. Ob sein India Pale Ale auch schwäbische Bruddelei kurieren kann? Etliche Stuttgarter glauben daran. 11.000 Liter hat Bleicher dieses Jahr bis jetzt gebraut, und alles verkauft, die Flasche mit einem halben Liter kostet zwischen 1,20 Euro und 1,45 Euro . Mit Pfand.
Doch was ist das überhaupt, India Pale Ale? Als die Engländer die Welt erobert hatten, wollten sie auf Getränke aus der Heimat nicht verzichten. Der Yogi-Tee in Indien hing ihnen alsbald zum Hals heraus, also lieferte man ihnen Bier. Damit es die lange Seereise überstand, wurde es stark eingebraut und hatte einen Alkoholgehalt von 16 Prozent. Normales Bier liegt etwa bei fünf Prozent. Später verschwand das India Pale Ale nahezu, ehe es in den 90er-Jahren vor allem von kleinen Brauereien in Kalifornien wieder entdeckt wurde.
Dort probierte es auch Daniel Bleicher, als er einen Kumpel besuchte, der nach San Francisco ausgewandert war. Und war begeistert. „Das schmeckt wirklich unglaublich vielfältig“, sagt er. Denn beim India Pale Ale kann man quasi mit dem Hopfen würzen. Untergärige Biere wie Pils, Lager und Export werden bei niedrigen Temperaturen gebraut. „Da ist der Geschmack immer ähnlich“, sagt Bleicher, „da können sie nichts beeinflussen.“ Obergärige Biere werden bei Zimmertemperatur gebraut, sie sind fruchtiger und geben den Geschmack des Hopfens wieder. Damit der deutlicher wird, gibt Bleicher beim Reifen noch Hopfen hinzu. „Riechen Sie mal“, sagt Bleicher und schöpft aus Säcken den Hopfen in seine flache Hand. „Green Bullet“ duftet nach Pinie, Limone, Rosinen und schwarzem Pfeffer, „Northern Brewer“ nach Harz und Kräutern, „Cascade“ nach Litschi und Blumenwiese. Spezialitäten sind dies, die man suchen muss und mit denen er experimentiert. „Jeder Tank schmeckt anders“, sagt Bleicher, „ich bin auch immer gespannt, was rauskommt.“ Jüngst hat er Hopfen aufgetrieben, der dem Bier einen Geschmack gibt nach Pfefferminze und Gletschereisbonbons . „Das ist was für Kenner“, sagt er und lacht.
Eigentlich wollte er vor allem „richtig gutes Weißbier“ brauen
Und für die will er auch Bier machen. In Eppingen, Pullach, Ludwigsburg und in Sophies Brauhaus hat er gearbeitet, ehe er sich 2010 selbstständig machte. Sein eigener Chef wollte er sein, und sein eigenes Bier brauen. Ohne Kompromisse. Doch der Start war schwer, eine Metzgerei in Feuerbach wollte er umbauen, doch die Bank gab ihm kein Geld dafür. Schließlich fand er die alte Druckerei im Heusteigviertel. Und wie das so ist, wenn man kein Geld hat, muss man findig sein. Und geschickt. Sein Braukessel ist ein Kessel zum Milch kochen, er hat ein Rührwerk draufgebaut. Und gefiltert wird das Bier in einem Shampoo-Behälter, den er im Internet ersteigert und umgebaut hat.
Eigentlich wollte er vor allem „richtig gutes Weißbier“ brauen. Und nebenbei das Pale Ale. Doch die Stuttgarter trinken zu wenig Weißbier. „Das ging nicht, also fahre ich es runter und mache mehr Pale Ale.“ Jedoch mit weniger Alkohol. „16 Prozent sind mir zu viel, da trinkst du eine Flasche und bist betrunken.“ Deshalb hat sein California Ale verträgliche 4,5 Prozent. „Da kann man auch zwei Flaschen trinken.“ Vorerst belässt es der Besuch bei einem Schluck. Aber schon damit kommt man Kalifornien ganz nah.