Nach dem Parlamentsvotum gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff droht dem größten Land Südamerikas ein monatelanges Machtvakuum. Mehr als zwei Drittel der Mitglieder des Abgeordnetenhauses stimmten für ein Amtsenthebungsverfahren.
Brasília - Das Amtsenthebungsverfahren dauert etwa sechs Monate, an seinem Ende könnte das politische Ende von Rousseff stehen. Die Präsidentin will aber um ihr Amt kämpfen. Nach der Abstimmung rückte Rousseffs Lager die Gegner der Präsidentin in die Nähe von Putschisten und sprach von einem Angriff auf die Demokratie. „Die Verschwörer des Staatsstreichs haben hier gewonnen“, sagte der Fraktionschef der linken Arbeiterpartei (PT), José Guimaraes. Er sprach von einer „vorübergehenden Niederlage“. Dies bedeute aber nicht, „dass der Krieg vorbei ist: Der Kampf wird auf der Straße und im Senat weitergehen.“
Turbulente Debatte
Rousseffs Stabschef Jacques Wagner warf den Abgeordneten vor, mit dem Votum „30 Jahre Demokratie in unserem Land zu hintertreiben“. Generalstaatsanwalt José Eduardo Cardozo sprach von einem „Putsch gegen die Demokratie“. Rousseff selbst äußerte sich zunächst nicht. Bei dem Votum nach rund fünfstündiger turbulenter Debatte gelang es Rousseffs Gegnern, die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beginn des Amtsenthebungsverfahrens zu mobilisieren: 367 Abgeordnete stimmten dafür, nur 137 votierten dagegen. Rousseffs Gegner begründen das Vorgehen gegen Rousseff unter anderem mit dem Vorwurf, sie habe Haushaltszahlen geschönt, um vor der vergangenen Wahl ihre Chancen zu verbessern.
Das Votum im Abgeordnetenhaus war nur der erste Schritt eines mehrstufigen Verfahrens. Vier Monate vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro steht Brasilien nun eine Phase der Ungewissheit bevor. Als nächstes muss nun der Senat mit einfacher Mehrheit dem Amtsenthebungsverfahren zustimmen; dies gilt als wahrscheinlich. Rousseffs Amtsführung würde danach vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt. Ihr derzeitiger Vertreter Michel Temer müsste die Amtsgeschäfte übernehmen.
Am Ende des Verfahrens muss dann der Senat mit zwei Dritteln erneut für Rousseffs Amtsenthebung stimmen, sonst kehrt sie in ihr Amt zurück. Einer der Wortführer der Rousseff-Gegner, Abgeordnetenhauspräsident Eduardo Cunha, prophezeite das baldige Ende ihrer Amtszeit. „Brasilien muss nun aus dem Tal herauskommen, und wir müssen die Situation so schnell wie möglich meistern.“ Er forderte den Senat zu einem raschen Votum auf. Zuvor hatte Cunha einer Parlamentssitzung vorgesessen, in der sich die Emotionen Bahn brachen.
Amtsenthebung als Putsch
Abgeordnete brüllten durcheinander, einige sangen patriotische Lieder oder Spottgesänge auf Rousseff, andere hielten Spruchbanner hoch, in denen sie die geplante Amtsenthebung als „Putsch“ verurteilten. Die letzten Redebeiträge der Parteichefs vor der Abstimmung wurden immer wieder unterbrochen, durch das hohe Haus wirbelte Konfetti. Auch außerhalb des Parlaments wühlt das politische Drama die Brasilianer auf, es mobilisierte landesweit Zehntausende.
Vor dem Parlamentsgebäude in Brasília demonstrierten nach Polizeiangaben 53.000 Gegner und 26.000 Anhänger Rousseffs. Größere Kundgebungen gab es auch in Rio de Janeiro, São Paulo und anderen Städten. Umfragen zufolge sind 60 Prozent der Brasilianer für die Amtsenthebung der früheren Guerillakämpferin Rousseff, ihre Zustimmungswerte sind auf zehn Prozent gefallen. Sie wird unter anderem für Korruption und die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes verantwortlich gemacht.