Die Brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff wird von der Regierung entmachtet und durch Michel Temer ersetzt. Die Ära der linken Arbeiterpartei ist vorerst zu Ende. Und die Präsidentin ätzt in Richtung Senat.
Brasilia - Nach über fünf Jahren an der Macht muss Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff ihr Amt vorläufig abgeben. Der Senat stimmte am Donnerstag nach einer rund 20-stündigen Marathonsitzung mit 55 zu 22 Stimmen für eine Suspendierung Rousseffs von 180 Tagen. „Das ist ein wahrhaftiger Putsch“, sagte Rousseff vor dem Verlassen des Präsidentenpalastes. „Ich bin legal gewählt worden von 54 Millionen Brasilianern.“ Das Amtsenthebungsverfahren sei nicht gerechtfertigt.
Endgültiges Aus
Ihr werden eigenmächtige Kreditvergaben und Bilanztricks zur Verschleierung der tatsächlichen Haushaltslage vorgeworfen. In den 180 Tagen werden die Vorwürfe nun juristisch geprüft. Im Herbst kann der Senat sie dann endgültig absetzen. Nötig war eine einfache Mehrheit, es wurde aber sogar eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Die wären auch bei dem Senatsvotum über das endgültige Aus erforderlich. Wird das Quorum verfehlt, würde Rousseff wieder das Amt übernehmen dürfen.
Vizepräsident Michel Temer (75) von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) übernimmt das Amt. Die PMDB hatte die Koalition mit der linken Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt und war in das Lager der Befürworter einer Amtsenthebung übergewechselt. Temer hat ein Kabinett ohne Beteiligung der bereits seit 2003 regierenden linken Arbeiterpartei aufgestellt. Temer wird nun auch statt Rousseff die Olympischen Spiele am 5. August in Rio de Janeiro eröffnen.
Einspruch zurückgewiesen
Rousseff sagte, sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt. Erstmals seit 13 Jahren wird nun zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren hatte der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurückgewiesen.
Solch ein Amtsenthebungsverfahren gab es in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen suspendiert - und trat schließlich zurück. Er ist heute Senator und warf in der Sitzung des Senats Rousseff eine katastrophale Politik vor - 2015 brach die Wirtschaftsleistung 3,8 Prozent ein. 2016 sieht es nicht besser aus.
Rousseff, seit 2011 im Amt, war zuletzt eine Präsidentin ohne Fortune, mitunter aufbrausend, mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen. Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff. Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen sind arbeitslos.
Politisch handlungsunfähig
Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in São Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.
Mit umfassenden Reformen hofft er, die Wirtschaft der bisher siebtgrößten Volkswirtschaft ankurbeln. Ex-Zentralbank-Chef Henrique Meirelles soll Finanzminister werden, zuletzt waren Staatsanleihen von Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden. Umweltschützer befürchten jedoch mehr Regenwaldabholzungen. Temer will zum Beispiel den umstrittenen „Sojabaron“ Blairo Maggi zum Agrarminister machen.