Foto: Timo Deiner

Die Show der Band Rammstein gerät am Samstagabend vor 12.000 Fans in der Schleyerhalle zu einer pyromanischen Oper - unser Fotograf Timo Deiner war dabei.

Stuttgart - Mit einem Rockkonzert hat das nur wenig zu tun: Die Show der Band Rammstein gerät am Samstagabend vor 12.000 Fans in der Schleyerhalle in Stuttgart zu einer pyromanischen Oper, die von Lust, Gewalt und Tod erzählt - unser Fotograf Timo Deiner war dabei.

Ein finsteres Grummeln, das zum Dröhnen anschwellt und ein unerträglich lange still haltender Mollakkord kündigen den Auftritt von Rammstein an. Wie James Camerons Terminatoren hauen sich Bandmitglieder wütend durch Metallwände hindurch, um auf die Bühne zu kommen, die Industriearchitektur nachahmend, am ehesten einer Stahlhütte gleicht. Sänger Till Lindemann bahnt sich mit einem Schweißbrenner den Weg ans Mikrofon. Es zischt und donnert, knallt, brennt und qualmt, als er im „Rammlied“, einer Art Vorspiel vor dem Theater, den Zeremonienmeister mimt und verkündet: „Wer wartet mit Besonnenheit / Der wird belohnt zur rechten Zeit / Nun das Warten hat ein Ende / Leiht euer Ohr einer Legende!“ Und dieser brenzliche Geruch, der die Schleyerhalle nun erfüllt, wird den ganzen Abend über in der Luft liegen.

Die Songs von Rammstein sind Miniopern, die böse, bestialische Tragödien skizzieren, Monologe perverser Tyrannen, für die Lust und Qual, Gewalt und Tod untrennbar miteinander verbunden sind. Entsprechend opernhaft sind die Songs live choreografiert. Die Ostberliner Band führt ein mal düsterromantisches, mal expressionistisches, mal futuristisches Drama in 18 Szenen auf. Menschen rennen brennend über die Bühne oder werden in einem Stahlbad eingeschmolzen, um im Glitzerkostüm zu neuem Leben zu erwachen. Spielzeugpuppen explodieren über den Köpfen der Musiker in einem funkelnden Feuerwerk. Raketen schießen auf die Bühne, Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz verwandelt sich in einen Matrosen, der auf einem Schlauchboot über das Publikumsmeer schwimmt, und Till Lindemann gibt den obszönen Gestus des Lieds „Pussy“ der Lächerlichkeit Preis, als er minutenlang mit einer Schaumkanone am Bühnenrand entlangfährt und das Publikum bespritzt.

Nichts scheint diese pyromanische Oper im industriellen Schwermetallkostüm auszulassen. Außer den Song „Ich tu dir weh“, der dafür verantwortlich war, dass die aktuelle Rammstein-Scheibe „Liebe ist für alle da“ auf dem Index landete. Bisher hatte die Band auf ihrer Deutschlandtour, die in München startete, den Song trotzdem gespielt, allerdings in einer neuen, entschärften Textversion. In Stuttgart ist die Sado-Maso-Nummer erstmals ganz aus dem Programm gestrichen.

Trotzdem ist man sich auch an diesem Samstagabend immer wieder nicht ganz sicher, wie ernst diese Späße mit dem teutonischen Posen, mit der martialischen Zurschaustellung der eigenen Körperlichkeit, mit dem rollenden R („Die Krrreaturrr muss sterrrben“, raunzt Lindemann etwa in „Waidmanns Heil“) gemeint sind; ob sich hier Biedermänner oder Bildungsbürger als Brandstifter verdingen.

Tatsächlich verbirgt sich bei dem Konzert aller Deutschtümelei zum Trotz hinter dem Maschinengewehrschlagzeug, den scharfkantigen Gitarrenriffs und dem Heldentenor Lindemann so etwas wie Weltoffenheit. Während in „B********“ die Anspielung auf Goethes „Faust“ („Zwei Seelen, ach, in meinem Schoß“) und damit auf das deutscheste aller deutscher Dramen, wohl bei einer Band wie Rammstein nahe liegt, überraschen die hymnische Edith-Piaf-Hommage „Frühling In Paris“ und die Elektropopnummer „Haifisch“, die Bertolt Brechts Moritat von Mackie Messer variiert („Doch der Haifisch lebt im Wasser / Und die Tränen sieht man nicht“). Beide Songs geraten prompt zu den besten des Abends. Übertroffen nur von der letzten Zugabe: Mit der morbiden Pfeifmelodie, dem düster-kreisende Basslauf und den markerschütternden Gitarren ist „Engel“ von Rammsteins erstem Nummer-eins-Album „Sehnsucht“ (1997) immer noch der beste Song der Band. Till Lindemann steht mit Engelsflügeln auf der Bühne, die bald schon zu brennen beginnen. „Gott weiß, ich will kein Engel sein“, grummelt er schließlich, klappt die noch sachte glimmenden Flügel zusammen, verschwindet unter der Bühne in der qualmenden Versenkung, während zum Abschied ein Synthesizer traurig vor sich hin dröhnt. Dann wird es dunkel.