Mit seinen Sprachspielen überzeugte der Autor Bov Bjerg bei seiner Lesung in Esslingen ebenso wie mit seiner sympathischen Art.
Esslingen - Er ist auf der Kabarettbühne ebenso zuhause wie in der Literatur. Mit seinem ansteckenden Lächeln fand Bov Bjerg bei den Literaturtagen LesART schnell einen Draht zum Publikum im Kronensaal der Kreissparkasse, deren Stiftung das Literaturfestival unterstützt. Und das, obwohl er die dunkle Seite von Menschen nach außen kehrt. Mit seiner Lesung schloss der Autor, der in Heiningen am Fuße der Schwäbischen Alb aufgewachsen ist, einen Kreis. Denn er las nicht nur aus seinem 2020 erschienenen Roman „Serpentinen“, mit dem er den Sprung auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Auch seinen unbekannten Roman „Deadline“, der 2008 erschienen ist, stellte er vor.
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Im Gespräch mit Ina Riedinger von der Eßlinger Zeitung erzählte der Absolvent des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig von seinem Debütroman, dessen Erstauflage buchstäblich floppte. Er verkaufte sich schlecht, und ein Teil der kleinen Auflage verbrannte im Lager. Wie erklärt er sich nun, dass es doch eine Neuauflage gibt? „Ich glaube, die Leute wollen einfach wissen, was der Autor von ‚Auerhaus’ sonst noch macht.“ Auch in dem Romandebüt, das Bjerg für die Neuauflage überarbeitet hat, zeigt sich seine Sprachkunst. Die Hauptfigur ist die technische Übersetzerin Paula, die aus den USA in die Heimat fliegt, um das Grab des Vaters aufzulösen. Da lebt Bov Bjerg sein großes Talent als Wortspieler aus. Die Frau, die mit 115 Kilo durchs Leben geht, sucht im Kopf ständig nach dem richtigen Ausdruck. Der Beruf hat ihre Gedanken gefangen.
Klarer Blick auf die schwäbische Heimat
Respektvoll blickt der Autor auf diesen Menschen, der an der Computerwelt scheitert. Liebevoll, und doch kritisch und klar ist sein Blick auf die schwäbische Heimat, aus der er selbst mit 18 Jahren nach Berlin flüchtete, weil er damals den Wehrdienst umgehen wollte. Dass er in seinen Büchern eine „Zwangsidylle“ beschreibe, wie es ihm manche Kritiker bescheinigten, das will der Wahl-Berliner mit den schwäbischen Wurzeln nicht gelten lassen.
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Ein depressiver Mensch steht auch im Mittelpunkt seines neuen Romans „Serpentinen“. Der namenlose Protagonist ist Soziologie-Professor. Sein Vater, Großvater und Urgroßvater nahmen sich das Leben, und auch er selbst ist suizidgefährdet. Bei einer Reise mit seinem Sohn in die alte Heimat versucht er, sein eigenes Leben zu ordnen – ein Plan, der nicht gelingen kann.
Klug entwickelte Figuren
Klug entwickelt Bjerg seine Figuren. Nie führt er diese gebrochenen Menschen vor. Er versetzt sich in ihre Gedankenwelt und versucht, Beweggründe zu begreifen. Die Welt aus der Perspektive der Hauptfigur zu sehen, gelingt ihm mit starken Bildern, als er bei einem Empfang für den „scheidenden Justizsekretär H.“ buchstäblich austickt und vor versammelter Mannschaft pöbelt: „Die Art, wie der Überanwalt sich jetzt peinlich berührt zeigte, das mit Berechnung angeschaltete Lächeln, die deeskalierenden Zahnreihen, der besorgte Blick über der beruhigend gesenkten Stimme, das alles brachte mich noch mehr auf die Palme.“ Immer mehr gerät der Professor an den Rand der Gesellschaft, fällt zurück in seine zerstörerische Depression. Das zeigt der Autor stark. Zugleich aber gelingen ihm zärtliche Momente, wenn er mit seinem Sohn nach einem Ausweg aus dem scheinbar unabwendbaren Familienschicksal sucht. Sie fahren die Serpentinen der Schwäbischen Alb hinauf, werden mit Erinnerungen konfrontiert, die sie nun aufarbeiten. Da hat der Weg in die Heimat, zu den Wurzeln, plötzlich etwas Befreiendes.
Die Romane: „Serpentinen“ (Claasen-Verlag, 22 Euro) und „Deadline“ (Kanon-Verlag, 22 Euro).
Biografisches
Leben
Bov Bjerg wurde 1965 als Rolf Böttcher in Heiningen (Landkreis Göppingen) am Fuße der Alb geboren. Sein Pseudonym wählte er nach der dänischen Ortschaft Bovbjerg, in der ein gleichnamiger Leuchtturm steht. Der Schriftsteller tritt auch als Kabarettist auf. Seine ersten Bühnenerfahrungen machte er in der Theater-AG seiner Schule.
Werke
Sein erster Roman Deadline (2008) verkaufte sich schlecht. 2021 erschien eine Neuauflage. Von seinem zweiten Roman Auerhaus, der 2015 erschien, wurden 300 000 Exemplare verkauft. Im Roman versucht Mitte der 80er-Jahre eine Jugend-Wohngemeinschaft einen neuen Lebensentwurf. Im Dezember 2019 wurde die Romanverfilmung Auerhaus veröffentlicht. Mit „Serpentinen“ schaffte er es 2020 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.