Die öffentliche Wasserversorgung ist zusammengebrochen, aber Flaschenwasser ist für die meisten Menschen in der Dritten Welt zu teuer: Szene aus „Bottled Life“ in Nigeria Foto:  

Es tobt ein Kampf ums Trinkwasser. Große Konzerne, allen voran Nestlé, wollen es vom öffentlichen Allgemeingut zur Ware machen, die Profit bringt. Was das für Folgen hat, zeigt der Dokumentarfilm „Bottled Life“.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Bottled Life"

Stuttgart - Ist Wasser ein Menschenrecht? Eine „extreme Anschauung“, findet Peter Brabeck, Verwaltungsratspräsident des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé. „Wasser ist ein Lebensmittel und sollte einen Marktwert haben.“ Nestlé ist gut darin, aus dem öffentlichen Gut eine Ware zu machen – wie rücksichtslos der Konzern dabei vorgeht und welche Folgen das hat, zeigt der Dokumentarfilm „Bottled Life“ des Schweizer Regisseurs Urs Schnell auf oft beklemmende Weise. Weil er von der baden-württembergischen MFG gefördert wurde, lief er im Juni beim Filmfestival „Made in Stuttgart“ im Atelier am Bollwerk.

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Schnell und sein Rechercheur Res Gehriger haben unter anderem im US-Bundesstaat Maine gedreht. Dort macht sich Nestlé breit, seitdem ihm die Wassermarke „Poland Spring“ gehört, kauft er immer mehr Grund und pumpt Wasser ab – fast so viel, wie die gesamte Landwirtschaft im Bundesstaat verbraucht. Die Gewinnspanne ist riesig.

Doch die Bürger sind auf den Barrikaden, weil sie um die Qualität ihres Grundwassers fürchten und unter dem steigenden Tanklasterverkehr leiden. Nestlé reagiert prompt, mit Einschüchterungsversuchen und einem Heer von Anwälten, mit denen es keine Bürgerinitiative aufnehmen kann.

„Pure Life“ ist ein Produkt für die Wohlhabenden

Drastischer sieht man die Auswirkungen der Wasserprivatisierung in Pakistan: Bis vor wenigen Jahren gab es hier kein Flaschenwasser. Dann kam Nestlé, lancierte die Marke „Pure Life“ und dominiert heute den selbst geschaffenen Markt. „Pure Life“ ist ein Produkt für die Wohlhabenden, doch seine Herstellung hat Folgen für die Armen: Durch die massive Wasserförderung in den Nestlé-Fabriken sinkt der Grundwasserspiegel dramatisch, die Brunnen reichen nicht mehr tief genug, ins ohnehin marode öffentliche Leitungsnetz wird nicht mehr investiert, die Wasserqualität sinkt.

Ein Beispiel, das zeigt, dass es bei Nestlé mit der nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen, die Verwaltungsratspräsident Brabeck gerne bei öffentlichen Anlässen als globale Zukunftsaufgabe anmahnt, nicht weit her ist. Für die kanadische Umweltaktivistin Maude Barlow betreibt Nestlé Wasserförderung wie Bergbau: „Sie kommen in eine Gegend, beuten sie aus, und wenn das Wasser weg ist, ziehen sie weiter.“ Als „Wasserjäger“ bezeichnet sie den Konzern, als „Raubtier auf der Jagd nach dem letzten reinen Wasser der Welt“.

Schnell hat Barlow mehrmals für den Film interviewt, Nestlé dagegen hat alle Interview-Wünsche abgelehnt. Bei einem Treffen in Bern habe ein Mitglied der Nestlé-Geschäftsleitung davon abgeraten, das Projekt weiterzuverfolgen, das sei „der falsche Film zur falschen Zeit“. Schnell wurde dafür angeboten, im Auftrag von Nestlé einen Film über Wasserverbrauch in der Landwirtschaft zu machen – der Regisseur lehnte ab. So sind von Nestlé-Vertretern, vor allem von Brabeck, nur Aufnahmen zu sehen, die bei öffentlichen Anlässen gemacht werden konnten oder frei verfügbar sind.

Wasser zum Grundrecht erklärt

„Bottled Life“ endet hoffnungsvoll: Engagierte Bürger in Maine haben es geschafft, Bohrungen von Nestlé zu verhindern, als der Konzern in einem Naturschutzgebiet Wasser abpumpen wollte. Möglich machte dies ein juristischer Kunstgriff: In einer Gemeindeversammlung, am widerwilligen Gemeinderat vorbei, haben sie das Wasser zum Grundrecht erklärt – ein Lehrbeispiel in Sachen Bürgerbewegung und Basisdemokratie .

„Wir haben anfangs gar keinen Film über Nestlé machen wollen, sondern über Wasser“, sagt Regisseur Urs Schnell im Anschluss vor dem Publikum. Bei den Recherchen in den USA seien sie dann aber darauf gestoßen, wie involviert der Konzern dort in die Wasserprivatisierungen ist. Nach dem Kinostart in der Schweiz habe Nestlé nicht geklagt, was für Schnell beweist, dass der Film „von A bis Z wasserdicht ist“. Wohl habe Nestlé „Bottled Life“ in Briefen an die Fernsehsender Einseitigkeit vorgeworfen und Druck ausgeübt. „Die Intendanten sind leicht nervös geworden“, erzählt Schnell, doch die zuständigen Redakteure hätten sie überzeugt, standhaft zu bleiben: „Ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde es diesen Film nicht geben.“

Mit dem Ex-OB-Kandidaten Jens Loewe ist auch ein lokaler Aktivist gegen Wasserprivatisierung auf der Bühne. Loewe, Mitbegründer des Stuttgarter Wasserforums, kommentiert unter anderem neue Entwicklungen auf EU-Ebene. So hatte vor wenigen Tagen EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier dementiert, die Privatisierung der Wasserversorgung voranzutreiben – nachdem sich 1,5 Millionen EU-Bürger in einem europaweiten Bürgerbegehren dagegen ausgesprochen hatten. Für Loewe „ganz sicher keine Entwarnung“, da es nur die Aussage eines einzelnen Beamten sei. Ohnehin müssten laut EU-Recht bereits jetzt die Kommunen ihre Wasser-Grundversorgung europaweit ausschreiben, das Recht auf kommunale Selbstverwaltung werde dagegen von Verwaltungsgerichten zunehmend als überholt betrachtet und ausgehebelt.

Auf die Publikumsfrage, ob man Konzernen überhaupt vorwerfen könne, Profit machen zu wollen, gerät der sonst sehr ruhige Schnell sogar kurz in Rage: Er habe nichts dagegen, wenn Nestlé Geld verdienen wolle, „aber sie sollen es sich ehrlich verdienen, und nicht so!“ Dann lehnt er sich, fast erschrocken über seinen Ausbruch, wieder in seinem Stuhl zurück. „Sie sehen, ich habe mich vier Jahre aufgeregt, und es ist so ein sanfter Film herausgekommen.“

Sanft ist Schnells Film tatsächlich; sein Ton ist nie empört, es sind die vielen nüchtern dargebotenen Fakten, die bei der Betrachtung Empörung auslösen – das macht „Bottled Life“ zu so einem ausgezeichneten Dokumentarfilm.

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