Schampus für Sieger Tiafoe, doch auch Verlierer Struff kann nach dem Finale lächeln. In unserer Bildergalerie blicken wir noch einmal auf die Turnierwoche in Stuttgart zurück. Foto: Baumann

Ein an Klasse und Dramatik kaum zu überbietendes Endspiel auf dem Stuttgarter Weissenhof entscheidet Frances Tiafoe für sich. Jan-Lennard Struff erfährt für seine Auftritte bei den Boss Open viel Wertschätzung – allen voran von Tennislegende Boris Becker.

Am Ende stand Frances Tiafoe im Konfettiregen und durfte den Champagner verspritzen. In einem an Klasse und Dramatik nicht zu überbietenden Endspiel auf dem Stuttgarter Weissenhof verwehrte der US-Amerikaner seinem Kontrahenten Jan-Lennard Struff im dritten Anlauf dessen ersten Titel auf der ATP-Tour.

 

Struff vergibt im Tiebreak einen Matchball

Aber was war das nur für ein Match! Sieger und Verlierer waren sich hinterher einig: Ein unglaubliches. Sollten die internationalen Tennisverbände ihre latent vorhandenen Überlegungen für eine Verkürzung der Spiele irgendwann vertiefen, dann sei als Gegenargument dieses 2:10 Stunden dauernde Drama empfohlen. Die ganze Klasse der beiden Kontrahenten und der Nervenkitzel des Tiebreak-Krimis verdichteten sich im Matchball beim Stand von 9:8 im entscheidenden Satz. Einen eigentlich todsicheren Schmetterball von Tiafoe vermochte Struff noch zu erlaufen und zu einem nicht für möglich gehaltenen Passierschlag ansetzen. Den Tiafoe aber gerade noch erreichte und per Volleystopp das Match beendete. Vor Ungläubigkeit lachend ließ sich der 25-Jährige rücklings auf den Boden fallen.

„Er hätte es genauso verdient gehabt“, hatte der Gewinner tröstende Worte für den Verlierer übrig, der im Tiebreak selbst einen Matchball vergab. „Es war der Wahnsinn. Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen“, erwiderte der 33-Jährige. „Am Ende wurde es gebrochen. Für mich war es trotzdem eine wunderschöne Woche.“

Becker über Struff: „Momentan Weltklasse“

4:6, 7:6 (7:1), 7:6 (10:8) hieß es am Ende eines Finals, das die 5000 Fans auf dem voll besetzten Center Court so schnell nicht vergessen werden. Es war auf alle Fälle das beste und dramatischste, seit das Turnier vor acht Jahren von Sand auf Rasen umgestellt wurde. Im ersten Satz nutzte der Lokalmatador die erste sich bietende Breakchance zum 4:3. So geht Rasentennis:  Die wenigen Chancen bei gegnerischem Aufschlag nutzen. Kein Wunder, dass Struff in den Tagen von Stuttgart vom dreifachen Wimbledonsieger Boris Becker geadelt wurde. „In seinem Spiel gibt es im Moment keine Unsicherheiten. Keine Momente, wo man denkt, er weiß nicht, wie er spielen soll.“

Immer wenn es brenzlig wurde, packte der Sauerländer einen seiner Monsteraufschläge mit bis zu 220 Stundenkilometern aus, die auf den Höhen des Killesbergs noch einen Tick schneller übers Netz fliegen. Gegen Ende des zweiten Satzes konnte Struff zunächst mehrere Satzbälle abwehren. Im entscheidenden Spiel war dann jedoch Tiebreak-König Tiafoe zur Stelle und zauberte seine beste Bälle aus dem Schläger. Immer locker und mit Humor ausgestattet, selbst in den engsten Situationen. Ein Grund, warum ihn die Tennisfans so lieben.

Struff klettert in der Weltrangliste auf Position 21

Bei brütender Hitze musste der dritte Satz die Entscheidung bringen. Struff blieb cool und spielte auf hohem Niveau weiter. Vor allem seine Netzattacken zauberten Tribünengast Becker immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Zwei Wochen vor dem Saisonhöhepunkt in Wimbledon analysierte die Tennis-Legende: „Er spielt Weltklasse momentan. Ich wünsche ihm, dass das noch lange weitergeht. Ich sehe keine Grenze.“

In der Weltrangliste liegt Struff nun auf Position 21. Vor dem am Montag beginnenden Rasenturnier von Halle ist der zweifache Familienvater knapp vor Alexander Zverev damit die deutsche Nummer eins. In dieser Form kann er auch in zwei Wochen in Wimbledon eine gute Rolle spielen.

Das gilt für Frances Tiafoe genauso. Der US-Open-Halbfinalist von 2022 taucht an diesem Montag zum ersten Mal in den Top Ten der Weltrangliste auf. In Stuttgart, wo er zum ersten Mal zu Gast war und sich über ein Preisgeld von 109 000 Euro freuen darf, war er immer wieder zu Scherzen aufgelegt. Etwa, als es in einer Pressekonferenz um Topstar Carlos Alcaraz ging. „Ich kenne diesen Typen nicht“, witzelte er. Um mit Blick auf die Zukunft der Tour zu ergänzen: „Wenn er irgendwann 40 Grandslams gewinnt und mir zwei lässt, bin ich zufrieden.“

Die Tellerwäsche-Geschichte des Frances Tiafoe

Die Geschichte des Stuttgart-Siegers ist die des Tellerwäschers, der es zum Millionär gebracht hat. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, sein Vater war als Tagelöhner in einer Tennisakademie beschäftigt, kam der junge Frances früh mit dem Sport in Kontakt und arbeitete sich mühsam in die Weltspitze vor. Wo er nun die Früchte in Form seines dritten ATP-Titels einfuhr. Ganz sicher war es auch für ihn der dramatischste.