Als Kommandozentrale von Jugoslawiens Staats- und Armeeführung im Kriegsfall war der Atombunker im bosnischen Konjic gedacht. Heute hat sich das Betonlabyrinth zu einem originellen Touristenziel gemausert.
Munter plätschern die glasklaren Wasser der Neretva an dem unauffälligen, weißgetünchten Haus vorbei. „Streng geheim. Zutritt auf eigene Verantwortung“ lockt ein Schild die neugierigen Besucher in ein offenes Garagentor. An der Rückwand öffnet eine meterdicke Stahltür wie in einem James-Bond-Film den Zugang zu einem gigantischen Betonlabyrinth: Der Atombunker im bosnischen Konjic hat sich zu einer der populärsten Touristenattraktionen des Balkanstaats gemausert.
Hell schallen die Schritte durch den gewölbten Tunnelgang, der die Besucher in einer leichten Linkskurve immer tiefer in den Zlatar-Berg und in das Innere einer der größten intakten Bunkeranlagen des Kontinents führt. Ein Vierteljahrhundert – von 1953 bis 1979 – habe der Bau der 300 Meter unter der Erdoberfläche gelegenen Militäranlage erfordert, die im damaligen Jugoslawien in „aller Heimlichkeit“ errichtet worden sei, berichtet die freundliche Bunkerführerin vor dem hufeisenförmigen Plan des 6800 Quadratmeter großen Untergrundreichs: „Bei einem Atomschlag sollte die Staats- und Armeeführung hier das Kriegskommando übernehmen: 350 Menschen hätten in dem Bunker problemlos ein halbes Jahr ausharren können.“
Bunker bauen mit kräftiger Militärhilfe der USA
Noch immer prangt das Bildnis des Bunker-Vaters mit der mächtigen Hornbrille an den kahlen Wänden in Konferenzsälen, Büros, und Fernschreiberkammern: Nach dem Zerwürfnis mit der Sowjetunion hatte Jugoslawiens sozialistischer Staatenlenker Josip Broz „Tito“ (1892-1980) auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges den Bau des Bunkers in dem abgelegenen Tal auf dem Gelände einer Munitionsfabrik angeordnet. Die „Kriegsparameter“ seien im bergigen Bosnien günstig gewesen, erläutert die Bunkerführerin die Standortwahl: „Hier hatten Titos Partisanen schon im Zweiten Weltkrieg mit ihrer Guerillataktik gegen die deutschen Besatzer entscheidende Schlachten gewonnen.“
Die kräftige Militärhilfe der USA während des Kalten Kriegs ermöglichte es dem Mitbegründer der Bewegung der blockfreien Staaten, vom unterirdischen Flughafen in Zeljeva bei Bihac bis hin zum Unterseeboothafen Lora bei Split ein kostspieliges Verteidigungssystem im Untergrund aufzubauen: Die jugoslawische Distanz zu Moskau ließ sich Tito jahrzehntelang auch von Washington finanzieren. Geschätzte Baukosten insgesamt: 4,6 Milliarden US-Dollar.
Ob Tito je das Tunnellabyrinth besucht hat, ist ungewiss
Mächtige Notstrom-Aggregate, Umluftventilatoren, Treibstofftanks und Wasserrohre glänzen im Neonlicht. Nur die roten Telefone sorgen im schmucklosen Wohntrakt für Farbtupfer: Plastikplanen überziehen im Schlaf- und Büroblock die graublauen Sofas und Betten.
Mit verbundenen Augen wurden die Errichter des Tunnellabyrinths über ein Vierteljahrhundert lang zu ihren auf drei Monaten begrenzten Geheimeinsätzen auf die Bunkerbaustelle gebracht. Ob Staatschef Tito selber das erst kurz vor seinem Tod fertiggestellte Betonbollwerk jemals besucht hat, ist nicht gesichert.
Statt der jugoslawischen Flagge prangt heute die Fahne von Bosnien und Herzegowina neben dem Tito-Bildnis an der kahlen Bunkerwand. Während Titos einstiger Vielvölkerstaat im konventionellen Krieg zerfiel, hat sein nie genutzter Atombunker die Schrecken des Bosnienkriegs überraschend unbeschadet überstanden. Die Anlage sei „noch immer voll funktionsfähig“, versichert die Bunkerführerin.
In den alten Räumen pulsiert heute das Leben
Bis zum Ausbruch des Bosnienkriegs 1992 hüteten 16 Angehörige der Jugoslawischen Volksarmee in dem militärischen Sperrgebiet nach einem strengen Proporz das größte unterirdische Geheimnis in dem mit Militärbunkern überzogenen Vielvölkerstaat: Neun Serben, vier muslimische Bosniaken und drei Kroaten harrten rund um die Uhr in der unterirdischen Betonfestung aus.
Doch nach Ende der Jugoslawienkriege wurden die hohen Unterhaltskosten von umgerechnet rund 9000 Euro pro Monat für die finanzschwachen Streitkräfte von Bosnien und Herzegowina bald zu einem Problem. 2011 erklärte das Verteidigungsministerium in Sarajevo den Bunker zu einer „militärisch perspektivlosen Immobilie“. 2014 überließ die Armee die Nutzung des zum nationalen Kulturerbe erklärten Bunkerreichs dem Teilstaat der Föderation, bevor 2017 die Kommune Konjic das Kommando in dem zum Kultur- und Tourismustempel umfunktionierten Betongemäuer übernahm.
Inzwischen pulsiert in lange stillen Bunkerstollen dank der Besichtigungstouren, Ausstellungen und Kunsthappenings ein neues Leben. Vergangenes Jahr hätten 36 000 Besucher die Bunkerpforte passiert, berichtet zum Abschied stolz dessen Hüterin: „Für Rafting- und Wandertouren kommen die Leute nur im Sommer. Der Bunker ist das ganze Jahr eine Attraktion.“
Geheimnisvolle Orte
Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Places ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.
Region Stuttgart
Auch in der Region Stuttgart stellen wir in loser Folge Lost Places vor. Wir erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.