In einem der Forscherlabors von BSH werden Produkte mit Hilfe von fotorealistischen Projektionen und einer 3-D-Brille anschaulich gemacht – noch bevor ein Modell gebaut wird Foto: BSH Hausgeräte GmbH

Wie fühlt, sieht und erlebt der Kunde ein Produkt? Die richtige Antwort ist für Firmen im boomenden Hausgerätemarkt geschäftsentscheidend. Die Bosch-Gruppe leistet sich dafür sogar eigene Forschungslabors.

München/Stuttgart - München/Stuttgart - Bereits das Anziehen fällt schwer. Zuerst die Knie- und Ellenbogenversteifer, der Hüftgürtel, die 30 Kilo schwere Jacke, schließlich Lärmschutz und Helm. Nach wenigen Minuten strengt das Gehen an, drückt das Gewicht die Schultern nach vorne. Die Sicht ist nur im oberen Teil des Helms noch scharf und die Farben sind verblasst. Die Jacke zuknöpfen, ein Ei aus dem Eierbehälter fischen, eine Verpackung öffnen – all das fällt mit dem Age-Man genannten Anzug schwer. So fühlt sich also annähernd die Welt eines 75-Jährigen an, der seinen Alltag bewältigen will, wie zum Beispiel ein Haushaltsgerät zu bedienen. Wie eines von BSH Hausgeräte.

Der größte Hausgerätehersteller Europas will sich damit in seine Kunden hineinfühlen, will wissen, was sie über Kaffeevollautomaten, Kühlschränke oder Waschmaschine denken, wie sie ihre Marken Bosch, Siemens, Neff oder Gaggenau erleben. Und sei es mit dem Körper eines 75-jährigen Verbrauchers, der für die altersgerechte Bedienung gerne etwas von seiner Rente abzwacken würde. User Experience heißt einer der größten Branchentrends, was man mit Nutzerlebnis übersetzen kann. Wem es gelingt, Produkte ganz aus Kundensicht zu produzieren, zu vertreiben und zu warten, wird mit das beste Geschäft machen.

Deshalb leistet sich BSH in der Münchner Zentrale sogar eigene Innovationslabors, die in diesem Jahr neu eröffnet wurden. „Wir müssen herausfinden, was der Konsument wirklich will“, sagt Ingo Pietsch, Leiter des User-Experience-Labors. „Wir brauchen den Mehrwert, für den der Kunde zahlt.“

BSH versucht ganz aus Kundensicht zu denken

Alles ganz aus der Kundensicht zu denken – dieses Prinzip hat Apples iPhone so erfolgreich gemacht, und es verändert auch die Hausgerätebranche. Früher war ein Backofen vor allem ein Ingenieurprodukt – möglichst zuverlässig und effizient und die Bedienungsanleitung mit einer Vielzahl von Industrienormen gespickt. Heute stehen bei der Entwicklung die menschlichen Bedürfnisse im Vordergrund. Welche Rezepte das Gerät vorschlagen kann, wie es der Nutzer auf seine Vorlieben modifiziert. Das ermöglicht auch die Internetanbindung und Vernetzung der Geräte, die eine enorme Auswahl der Funktionen ermöglicht. Auch deshalb arbeiten bei BSH Ingenieure mit Psychologen und Designern zusammen. Die Komplexität muss wieder einfach werden.

Mitarbeiter beobachten die Verbraucher in der „freien Wildbahn“, wie Pietsch es nennt, oder lassen sie unter Laborbedingungen Produkte testen. Schon bei der Entstehung der Produkte werden sie mit einbezogen, wie sie Gebrauchsanleitungen lesen, wie sie kaufen, wie sie Geräte aufbauen, nutzen oder warten lassen. Immer wieder bemalen die Labormitarbeiter die Wände mit Ideen, besprechen sie mit den Nutzern, testen, korrigieren, testen wieder. Auf diese Weise knüpfen sie das passende Lasso, das sich immer enger um den Kunden zieht.

Produkte werden getestet, bevor es sie überhaupt gibt

Häufig werden die Produkte schon getestet, bevor es sie überhaupt gibt. Dazu geht es ins Virtual-Reality-Labor, der „simulierten, computergenerierten Darstellung der Wirklichkeit“, wie der Laborleiter es nennt. Mit Hilfe einer speziellen Brille und der passenden Software lässt sich so das Design eines Produkts beurteilen. Fotorealistisch und in Echtzeit werden Daten auf das Brillendisplay aufgespielt, es fühlt sich so an, als könne man zum Beispiel eine Waschmaschine von allen Seiten begutachten und sogar in die Trommel hineinkriechen. Welche Form oder Farbe ein Bedienungsknopf haben soll, all das kann getestet und die populärste Variante virtuell konstruiert werden. Steht der Prototyp, kommt eine weitere Brille zum Einsatz, die die Augenbewegungen der Tester exakt verfolgt. Ob zum Beispiel Knöpfe oder Schalter zuerst hervorstechen. Wie leicht die Waschmaschine zu bedienen ist.

Die leichte Bedienbarkeit gehört für die Verbraucher zu den wichtigsten Kaufgründen. Da die Haushaltsgeräte immer stärker untereinander und mit dem Internet vernetzt sind, ist die Benutzerfreundlichkeit oft das K.-o.-Kriterium für den Kauf. „Keiner liest mehr eine Bedienungsanleitung – Geräte müssen rein intuitiv zu bedienen sein“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom, dem auch viele Hersteller von Haushaltsgeräten angehören. „Heute könnten Sie keinen Videorekorder mehr verkaufen – das Gerät ist zu kompliziert.“

„Man muss mit den Menschen reden“

„Wer nicht in die User Experience investiert, verliert die Orientierung, wohin die Reise geht“, sagt auch Henning Brau. Der 42-Jährige ist Diplompsychologe und treibt die nutzerzentrierte Entwicklung in der BSH voran. Jahrelang hat er für die Automobilindustrie gearbeitet und gesehen, wie die IT-Entwicklung oft auf Funktionen getrimmt wurde, statt sich mit den Nutzern auseinanderzusetzen. „Wenn Sie es aber tun, können Sie teils viel Zeit bei der Entwicklung der Produkte sparen. Man muss mit den Menschen reden, um lernen zu können.“

Bosch und der Hausgerätemarkt

Das Internet beflügelt den Hausgerätemarkt

Die BSH Hausgeräte GmbH ist der größte Hausgerätehersteller in Europa. Das Unternehmen zählt derzeit rund 53 000 Mitarbeiter weltweit und erzielte 2014 einen Umsatz von rund 11,4 Milliarden Euro. Der Konzern entstand 1967 als Gemeinschaftsunternehmen der Robert Bosch GmbH und der Siemens AG. Seit Januar 2015 gehört die BSH ausschließlich zur Bosch-Gruppe. BSH produziert an sieben Standorten in Deutschland, zwei davon in Baden-Württemberg. In Giengen werden Kühlgeräte gefertigt (2700 Mitarbeiter), in Bretten Herde und Dunstabzugshaben (rund 1300 Mitarbeiter).

Der Markt für Hausgeräte wächst im Jahr 2015 laut dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) zum achten Mal in Folge und soll 8,2 Milliarden Euro erreichen – im Vergleich zu 2014 ist dies ein Anstieg von gut vier Prozent. Im Trend liegen smarte, vernetzte Hausgeräte. So fotografieren Kühlschränke automatisch den Inhalt, damit dieser via Smartphone einsehbar ist, oder bieten Kaffeevollautomaten die Zubereitung aus zig Varianten an.

Hausgeräte sind nicht nur immer häufiger mit dem Internet, sondern auch mit anderer Haustechnik vernetzt. Im sogenannten Smart Home werden neben Waschmaschinen auch Rollläden, Heizungen und Sicherheitstechnik intelligent gesteuert. Weil der Markt boomt, gründet Bosch zum 1. Januar 2016 in Stuttgart eine Tochtergesellschaft, die die Aktivitäten um das vernetzte Heim bündelt und die Hausgerätesparte in München ergänzt. (dag)