Bosch nutze den Wandel zur E-Mobilität, um verstärkt Fertigung in Osteuropa auszubauen, sagen Betriebsratschef Hartwig Geisel (l.) und sein Vorgänger Alfred Löckle. Foto: factum/Weise

Der Wechsel an der Spitze des Bosch-Gesamtbetriebsrats fand vor einem Jahr lautlos statt. Der Betriebsratschef Hartwig Geisel und sein Vorgänger Alfred Löckle kritisieren die zeitlich befristeten Arbeitsverträge scharf.

Stuttgart - Der Wechsel an der Spitze des Bosch-Gesamtbetriebsrats fand vor einem Jahr lautlos statt. Jetzt stellen sich der neue Betriebsratschef Hartwig Geisel und sein Vorgänger Alfred Löckle den Zukunftsfragen des Konzerns – und fordern Konzepte für die Verbrennerstandorte.

Herr Geisel, Sie haben vor einem Jahr den Vorsitz des Bosch-Gesamtbetriebsrats von Herrn Löckle übernommen. Redet er Ihnen rein?

Geisel: Wir arbeiten seit zehn Jahren zusammen, sind also ein eingespieltes Team. Alfred Löckle war der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, ich zehn Jahre lang sein Stellvertreter. Er lässt uns nun unseren Stil entwickeln. Ich kann aber jederzeit auf ihn zurückgreifen. Er hat extrem viel Erfahrung. Seine Einschätzungen sind sehr hilfreich. Die Firma hat ein enormes Tempo im aktuellen Transformationsprozess aufgenommen.

Herr Löckle, was macht Sie im Rückblick stolz?

Löckle: Stolz ist eine Vokabel mit der der Schwabe nicht so gut zurechtkommt. Stolz bin ich auf die tolle Unterstützung, die der GBR (Gesamtbetriebsrat, d.Red.) von den Standortbetriebsräten erhält und auf die engagierte Arbeit, die meine Kolleginnen und Kollegen hier in der Geschäftsstelle des GBR und KBR (Konzernbetriebsrat, d. Red.) leisten.

Fällt Ihnen ein Lob leichter, Herr Geisel?

Geisel: Ein Thema, in das Alfred Löckle viel Herzblut gesteckt hat, war die Internationalisierung der Betriebsräte. Wir arbeiten auf europäischer Ebene mittlerweile gut zusammen. Zukunftsweisend hat er auch beim Thema Altersversorgung und Altersteilzeit agiert. In der weltweiten Krise hat er eine Strategie entwickelt und das Unternehmen dafür gewonnen. Und er hat die Entwicklungs- und Produktionsstandorte näher zusammen gebracht, was gerade jetzt wichtig ist. Denken Sie an Themen wie Globalisierung, Digitalisierung, Elektromobilität sowie Verbrennungsmotor – zurzeit ändert sich extrem viel.

Richtet sich auf die Themen Ihr Augenmerk?

Geisel: Mir ist besonders wichtig, die Industriestandorte von Bosch in Deutschland zu erhalten. Da geht es teilweise um die Existenz und um richtig viele Mitarbeiter. Nehmen Sie den Standort Feuerbach, es ist der größte Dieselstandort von Bosch. Dort arbeiten 3500 in der Produktion und 4000 in Entwicklung und Verwaltung. Mehr als 7000 Leute sind also vom Diesel abhängig. In Stuttgart weiß das kaum jemand. Am Fertigungsstandort Bamberg arbeiten etwa 8000 Mitarbeiter im Bereich Diesel und Benzin. Die Belegschaften brauchen Sicherheit und Perspektiven.

Die Dieselnachfrage sinkt. Wie wirkt sich das auf die Bosch-Standorte aus?

Geisel: Die Aufträge im Diesel-Bereich sind gesunken. Bisher können wir dies noch mit Bordmitteln managen. Darunter verstehen wir etwa Altersabgänge, die nicht ersetzt werden. In Bamberg gibt es eine Benzinfertigung, wo derzeit viel Arbeit anfällt. Deshalb wechseln Beschäftigte aus dem Diesel- in den Benzin-Bereich. Doch die hohe Zahl an Befristungen am Standort Feuerbach kritisieren wir scharf.

Welchen Umfang haben die Befristungen?

Geisel: Allein im Werk Feuerbach gibt es 300 Befristungen – seit Jahren. Häufig laufen die Verträge vier Jahre, dann erhält der nächste für exakt denselben Arbeitsplatz einen neuen, befristeten Vertrag. In der Regel sind das junge Mitarbeiter, die eine Familie gründen wollen, aber bei Bosch keine Perspektive auf einen festen Arbeitsplatz haben. Ich finde das unmöglich. Und es ändert sich nicht. Dagegen kämpfen wir. Da sind wir hart in der Sache.

Hat Bosch eine Quote?

Geisel: Eine Quote für befristete Arbeitsverträge gibt es bei Bosch nicht. Aber das könnte eine Lösung werden. Momentan verweigert sich die Firma da aber noch.

Löckle: Wenn sie die Zahl der Befristungen auf die gesamte Belegschaft beziehen, dann ist die Zahl völlig unauffällig. Wenn man aber konkret nach Bereichen und Qualifikationen schaut, wo Mitarbeiter befristet eingestellt werden, dann sind die Quoten sehr hoch. Das sind Flexibilitätspuffer, die sich das Unternehmen in bestimmten Fertigungsbereichen zubilligt. Dieser Puffer ist seit jeher recht üppig.

Recht üppig heißt?

Geisel: Es gibt Fertigungsabteilungen mit 80 Prozent Befristungen.

Das passt nicht zum Fachkräftemangel.

Geisel: Von den Befristungen betroffen sind ganz überwiegend un- sowie angelernte Mitarbeiter.

Löckle: Bosch argumentiert, dass Un- und Angelernte künftig nicht mehr benötigt werden. Das glauben wir nicht. Egal mit welcher Technik, wird es immer einfache Aufgaben geben, da bin ich zuversichtlich. Aber wir müssen immer darum kämpfen, dass diese Arbeitsplätze auch im Unternehmen bleiben.

Welche Möglichkeiten hat ein Betriebsrat sich dagegen zu wehren?

Geisel: Zum Thema Befristung läuft ein Arbeitsgerichtsprozess in Stuttgart. Den Konflikt müssen wir austragen. Und wir haben uns vorgenommen, nicht als zweiter Sieger vom Platz zu gehen. Darüber hinaus widerspricht der Betriebsrat Neueinstellungen, die Bosch plant.

Sorgen Sie sich um die Zukunftsfähigkeit des Standorts Feuerbachs?

Geisel: An allen sieben Verbrennerstandorten, die Bosch in Deutschland hat, brauchen wir zunächst Zeit, um den Wandel aus Sicht des Personals hinzubekommen. Der Betriebsrat unterstützt ausdrücklich politische Themen wie die CO2-Verringerung. Um den Standort zu erhalten, muss dort neue Produktion angesiedelt werden. Doch das Unternehmen lässt die Standorte dabei zu stark alleine, was wir sehr kritisch sehen. Die Geschäftsführung müsste da viel stärker Stellung beziehen. Wir fordern Zukunftspläne für die Verbrennerstandorte ein, die es bisher nicht gibt. Die Diskussion dazu hat erst begonnen.

Kann ein Standort, der Dieselkompetenz hat, Elektronikstandort werden?

Löckle: Es ist nicht einsichtig, dass man hier ein Werk für Einspritzpumpen nicht in einen Elektronikstandort umfunktionieren kann. In Rumänien werden ja auch Elektronikstandorte auf der grünen Wiese errichtet – mit Menschen, die zuvor in der Landwirtschaft gearbeitet haben.

Ist es Bosch-Ziel die Werke zu erhalten?

Geisel: Bosch nutzt den Transformationsprozess, um verstärkt die Fertigung in Osteuropa auszubauen. Das muss man sehen. Beispiel: Wir haben in Feuerbach eine Sondenfertigung, doch ausgebaut wird der Bereich vor allem in Rumänien. Da kommen wir auch in einen Konflikt mit dem Unternehmen rein. Wir spüren, dass es derzeit wieder einen Schub gibt. Bosch ist heute stärker renditeorientiert als noch vor einigen Jahren.

Löckle: Trotzdem schließt sich die Schere etwas. Der Abstand der Löhne zwischen Deutschland und osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn wird prozentual geringer. Dafür kommen neue, preiswertere Länder ins Spiel.

Bosch sucht einen Käufer für den Bereich Verpackungstechnik in Waiblingen. Wurden Sie überrascht?

Geisel: Der Konzernbetriebsrat ist gegen den Verkauf. Der Verpackungsbereich wurde aufgebaut, um die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren.

In Feuerbach gibt es auch einen Batteriecampus, der nicht tarifgebunden ist. Ist das die Ausnahme im Konzern?

Löckle: Es gibt viele nicht-tarifgebundene Gesellschaften bei Bosch. Nehmen Sie die Callcenter in Magdeburg und Leipzig.

Ist das nicht auch ein Dorn in den Augen des Betriebsrats?

Geisel: Das sind zwei Dornen – in jedem Auge einer. Als der Batteriecampus in Feuerbach angesiedelt wurde, hatten wir mit dem Unternehmen vereinbart, dass dort ein Betriebsrat gegründet wird. Und dass wir in Gespräche mit dem Ziel der Tarifbindung eintreten. Nach der Entscheidung gegen eine eigene Zellenfertigung wird der Campus wieder in den Konzern integriert – und die Beschäftigten nach Tarif bezahlt. Und der Feuerbacher Betriebsrat wird für sie zuständig sein – ab dem 1. Januar 2019.