Boris Palmer will OB in Tübingen bleiben. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Tübingens Oberbürgermeister Palmer setzt alles auf eine Karte: Im Herbst sind Wahlen in der Studentenstadt und er hofft auf eine dritte Amtszeit. Nach den Querelen mit den Grünen muss ein neues Image her.

Seinen Sinn für Humor hat er trotz des jahrelangen Streits mit den Grünen jedenfalls nicht verloren, der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. Kurz vor seinem 50. Geburtstag am 28. Mai teilt Palmer selbstironisch ein Bild des französischen „Sonnenkönigs“, Ludwig XIV., in das sein Gesicht montiert wurde. Nach provokanten Sprüchen sucht man dafür in den sozialen Netzwerken vergeblich, seit das Parteiausschlussverfahren gegen ihn mit einem Kompromiss abgewendet wurde.

Knapp ein Jahr nach dem Beschluss für ein Ordnungsverfahren wegen Tabubrüchen und Rassismusvorwürfen hatten sich die Südwest-Grünen und der 49-Jährige darauf verständigt, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende 2023 ruhen lässt. Die Grünen wollen im kommenden Jahr mit ihm Gespräche führen, wie er „zukünftig kontroverse innerparteiliche Meinungen äußern könnte unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei“.

Viele Lacher für Sonnenkönig-Posting

Geht es um seinen Politikstil, beschreiben Palmers Gegner den streitbaren Rathauschef so: Autokratisch, egomanisch, rechthaberisch. Der Gründer des Tübinger Biopharma-Unternehmens Curevac, Ingmar Hoerr, der ihn besser und länger kennt, sagt: „Er scheut sich nicht vor unbequemen Wahrheiten. Zudem hat er, was manche vielleicht gar nicht ahnen, einen ziemlich guten Sinn für Humor.“

Für den Sonnenkönig-Post erntet Palmer von seinen Followern viele Lacher. Ob ihm dieser Umschwung hilft, am 23. Oktober als Oberbürgermeister wiedergewählt zu werden und Frieden mit seiner Partei zu schließen, wird sich zeigen. Die Themen, mit denen Palmer sich nun auch auf Anraten seines Wahlkampfleiters in den sozialen Medien befasst, haben mit Partei- oder Außenpolitik wenig zu tun. Es wird am Image gefeilt. „Für die, die nun auf Aufreger hoffen, gibt es in Facebook gerade nicht viel“, sagt Palmer. Seinen runden Geburtstag verdränge er.

Es ist früher Wahlkampf in Tübingen und Palmer zeigt sich derzeit von seiner besten Seite. Wenige Monate vor der OB-Wahl, bei der er wegen des Streits mit den Tübinger Grünen als unabhängiger Kandidat antritt, ist die Linie klar: Tübinger Themen fürs Tübinger Publikum. Palmers Wahlkampfleiter Lorenz Brockmann sagt, Palmer sei dabei, an sich und an seiner Kommunikation intensiv zu arbeiten.

Kein Plan B für Palmer

Das ein oder andere „im Eifer des Gefechts“ gefallene Wort in der Vergangenheit bedauert Palmer jetzt, sagt er bei einem Spaziergang durch Tübingen. Und zu seinen Kritikern sagt er: „Wir haben in diesem Land eine unfassbare Bürokratie aufgebaut und eine weit überzogene Sensibilität.“ Er mache halt das, was gemacht werden müsse. „Wenn es mit der Wiederwahl nicht klappt im Herbst, werde ich Pensionär“, sagt Palmer. Einen Plan B gebe es nicht.

In einem lindgrünen Anzug und schneeweißem Hemd steht Palmer vor dem Spaziergang durch „seine Stadt“ vor dem Rathaus. Der grau melierte Schopf ist akkurat geschnitten, der Bart in Form. Stolz zeigt er die neuen Granitpflaster in der Altstadt, geeignet seien sie „für Stöckelschuhe und Rollator“. Auf dem ehemaligen Parkplatz seines 2009 abgeschafften Dienstautos stehen jetzt Fahrräder. Er selbst hat nach eigenen Angaben drei davon. Privat hatte Palmer lange Zeit kein Auto, erzählt er. Als die Corona-Pandemie einzog, habe es seine Frau aber durchgesetzt, einen Wagen zu kaufen. „Den möchte ich aber wieder abschaffen“, sagt er.

Energisch läuft Palmer hoch zum Schloss Hohentübingen und verweist mit Blick auf die Stadt auf die Errungenschaften seit seinem Amtsantritt im Jahr 2006: Fast alle städtischen Dächer seien mit Solaranlagen ausgestattet, drei Gymnasien energetisch saniert, am Bahnhof entsteht an der 50-Millionen-Euro-Baustelle eine Tiefgarage für 1100 Fahrräder und 72 Autos. Pro Fahrrad belaufen sich die Kosten auf 4000 Euro, pro Auto auf 75 000 Euro. „Es ist nicht autofeindlich, auf den gravierenden Kosten- und Umweltvorteil des Fahrrads im Stadtverkehr als Verkehrsmittel zum Bahnhof hinzuweisen“, schreibt Palmer dazu auf Facebook.

„Weiter so, Herr Palmer“

Geplant sind ferner zehn bis zwölf Windräder, die laut Palmer allein ein Fünftel des Stromverbrauchs decken können. Durch die Ansiedlung des Technologieparks „Cyber Valley“ seien die Gewerbesteuern um ein Vielfaches gestiegen und mehr Arbeitsplätze geschaffen worden. „Umweltschutz und Wirtschaftswachstum ist das besondere an Tübingen. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen schätzen, was in den letzten 15 Jahren passiert ist.“

Auf dem Weg mit ihm durch die Stadt über die Hauptverkehrsstraße Mühlstraße bis zur Neckarbrücke fahren seit kurzem keine Autos mehr. Nur noch Busse sind im Einsatz, es wimmelt von Fahrradfahrern. Ein Mann bittet Palmer um ein gemeinsames Foto. Dieser willigt ein. Er finde es gut, was Palmer mache, sagt der 39-jährige Manuel Kljajic. „Er ist einer der besten Oberbürgermeister in Deutschland. Weiter so, Herr Palmer.“