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Boris Becker macht seinen Job als TV-Experte trotz der neuen Hiobsbotschaften einigermaßen ungerührt.

London - Was Wimbledon für ihn bedeutet, hat Boris Beckervor ein paar Tagen noch einmal unmissverständlich klargemacht: „Alles, was ich habe, alles, was ich bin, und alles, was ich sein werde, hat mit diesem Court zu tun“, sagte Becker in einem Interview der „BBC“. Im Hintergrund war jener magische Platz zu sehen, auf dem Becker dreimal in seiner Karriere triumphierte, 1985, 1986 und 1989. Der Centre-Court des All England Lawn Tennis and Croquet Club, das berühmteste Tennisterrain der Welt. Wimbledon – das ist so etwas wie der Heilige Gral für Becker, es ist sogar ein Schauplatz gewesen, an dem er früher in schwierigen Zeiten Zuflucht und Schutz fand. „Dieses Turnier und die Menschen hier, sie waren immer gut zu mir“, hat Becker einmal gesagt – und das war alles andere als eine Platitüde, es lag großer Ernst in diesem Statement.

Nun ist wieder Wimbledon, jenes ganz besondere Turnier, über das Beckers erste Ehefrau Barbara den legendären Spruch prägte: „Bei uns in der Familie gibt es drei Jahreszeiten. Vor Wimbledon. Wimbledon. Und nach Wimbledon.“ Aber es ist ein Wimbledon, das für Becker unter besonderen Vorzeichen steht. Schön sind die wahrlich nicht. Als Becker am Dienstag zu seinem Kommentatoren-Einsatz für die „BBC“ in Richtung Centre-Court schritt, als Experte für das Erstrundenmatch von Roger Federer gegen den Ukrainer Alexander Dolgopolow, da machten daheim die ersten Schlagzeilen über eine neue, 36,5 Millionen Euro schwere Geldforderung seines ehemaligen Managers und Freundes Hans-Dieter Cleven die Runde. Schnell breiteten sich die Nachrichten über Beckers frische Beschwerlichkeiten auch an der Church Road aus, in seinem zweiten Wohnzimmer.

Die „Bild“ titelte: „Der Ruin einer Legende“

Wo immer man sich danach auch umtat, ob auf der Terrasse der Players Lounge, in Gesprächen mit Trainern oder Agenten oder im Pressezentrum – rasch war immer wieder ein Satz zu hören: „Haben Sie schon gehört . . .?“ Gehört von Becker, von seinen Geldsorgen, vom Kampf der beiden Anwaltslager um die Deutungshoheit in der Schulden-Saga. Schlimmer hätte es nicht kommen können für ihn, sagten jene, die mit ihm befreundet sind oder auch nur freundschaftlich verbunden. Wimbledon, sein Tennis-Paradies, der Ort, an dem er immer irgendwie aufblühte – und nun das. Eine Titelseite der alten Freunde von „Bild“ auch am Mittwoch mit der Formel „Der Ruin einer Legende.“ Dahinter ein Ausrufezeichen.

Man kann nicht sagen, dass sich Becker in Wimbledon vor den Hiobsnachrichten verstecken oder gar flüchten würde. Er macht seine Arbeit als TV-Experte einigermaßen ungerührt, jedenfalls hat er meistens die übliche Maske der Coolness aufgesetzt. Er bewegt sich auch durch die Menschenmassen hindurch, die an den Starttagen des Grand Slam-Spektakels über die Anlage flanieren. Seine mutmaßlich prekäre finanzielle Lage ist auch auf der Insel hinreichend bekannt, aber es ist bei weitem keine so große Aufregung wie daheim in Deutschland – der immer schon schwierigen Heimat für Becker. In Reichweite der Arbeitsplätze der Weltpresse gab Becker sogar am Dienstag ein längeres Interview für den Wimbledon-eigenen TV-Kanal nach dem Federer-Match, das wegen einer Verletzung des Gegners des Schweizers nur runde 40 Minuten gedauert hatte.

Scharfer Kontrast zu den Wimbledon-Jahren zuletzt

Becker schielte bei dem Gespräch immer wieder nach links und rechts, und da erblickte er fürsorgliche Begleiter, die ihm nun auch wieder folgen: Paparazzi-Fotografen, die ihn bei jeder passenden Gelegenheit in der Öffentlichkeit ablichten. Als Becker von Journalisten angesprochen wurde zu der Finanzaffäre, lehnte er Kommentare ab. Er marschierte dann ins TV-Gebäude, dort war er vor weiteren Nachstellungen sicher. Etwas gehetzt wirkte er schon bei all dem, er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, man konnte es eher spüren als sehen. Er würde ja lieber Wimbledon feiern –und sich, wie sonst auch in jedem Jahr, etwas feiern lassen.

Es ist dies alles auch ein scharfer Kontrast zu den Wimbledon-Jahren zuletzt. Ganz besonders zum Jahr 2015, in dem Becker als Trainer von Novak Djokovic noch einmal Wimbledon gewann. Es war der Höhepunkt des Gespanns „Beckovic“, dieser Triumphzug, nach dem Becker „eine tiefe Dankbarkeit spürte“. Filmreif sei das alles, 30 Jahre nach seinem ersten Sieg hier, bekannte er in einem Interview am Finalabend: „Das sind große Glücksmomente.“ Becker platzte fast vor Stolz, man konnte ihm auf Schritt und Tritt die Genugtuung ansehen, die er empfand – er hatte es wieder einmal und noch einmal allen gezeigt. Vor allem den vielen, sehr vielen Zweiflern und Skeptikern, die ihm den Coup als Coach nicht zugetraut hatten.

Anderthalb Jahre später trennten sich Becker und Djokovic, es war allerdings eine Entscheidung, die Becker aus eigener Autorität fällte. Ihm gefiel der Weg nicht, den Djokovic gehen wollte. Sein Schicksal im Hier und Jetzt, so scheint es, liegt nun nicht mehr in seinen Händen. Und es stellt sich die Frage, ob alles, was Becker in Zukunft sein wird, tatsächlich noch mit Wimbledons Centre-Court zu tun haben wird.