Der Angeklagte betont, er sei glücklich verheiratet. Seine Frau weiß bis heute nichts von jenem Abend im Böblinger Bordell Sakura. Foto: factum/Simon Granville

Ein 33-Jähriger ist angeklagt, weil er im FKK-Club Sakura eine Prostituierte missbraucht haben soll. Er war dort regelmäßig mit seinem Bruder und Kollegen zu Gast. Der Angeklagte glaubt, der Sex mit ihm habe der Frau gefallen.

Böblingen - Peinlicherweise ist das Geschehen gefilmt worden, jedenfalls Teile davon, anfangs als Jux. Inzwischen sind die Bilder ein Beweisstück. Das Publikum im Gerichtssaal wird die Sequenzen selbstverständlich nicht zu sehen bekommen. Die Schilderungen des Angeklagten reichen aber, um die Szene in der Fantasie lebendig werden zu lassen: Eine Frau auf ihren Knien und Händen, er, ihr Freier, hinter ihr, Doggystyle.

Ob die Handyaufnahmen den Vollzug eines gewöhnlichen Geschäfts zwischen einer Prostituierten und ihrem Kunden dokumentieren oder die Vergewaltigung der Frau, wird das Landgericht Stuttgart zu klären haben. Von einer Vergewaltigung geht die Staatsanwaltschaft aus. Im Kern geht es um die Frage, ob der Angeklagte die Prostituierte zum Ende des Aktes anal missbraucht hat. Er beteuert das Gegenteil. Aus seiner Sicht beschuldigt die Frau ihn ohne jeden Grund einer Straftat.

Der Angeklagte war bis zum Betriebsschluss in dem Bordell

Sofern die Richter urteilen werden, dass der 33-Jährige schuldig ist, war der Tatort das Sakura, ein Bordell in Böblingen. Am 10. Januar, einem Freitag, war der Angeklagte dort, bis zum Betriebsschluss. Daran besteht kein Zweifel. Um 2 Uhr ist im Sakura Feierabend für die Frauen und Kehraus für die Freier. Die Sperrstunde spielt im Prozess eine Rolle, wegen des Preises für die sexuelle Dienstleistung. Die Frauen berechnen üblicherweise für eine halbe Stunde ihrer Standardleistungen 50 Euro. Gemäß Aussage des Angeklagten hatte er auf dem Zimmer keine halbe Stunde Zeit mehr. Gegen 1.30 Uhr sei er mit der Frau ins Obergeschoss gegangen, danach habe er geduscht und noch seine Frisur gerichtet, damit seine Frau keinen Verdacht schöpft.

Der 33-Jährige ist verheiratet. Seine Ehe sei glücklich. Das betont er während seiner Aussage mehrfach. Gelegentlich beginnt er dabei zu schluchzen. „Ich bereue zutiefst, dass ich in den Puff gegangen bin“, sagt er. Allerdings war er dort an jenem Abend keineswegs zum ersten Mal. Das Personal duzt er. Hinter der Empfangstheke lagert eine Tube Haargel, auf der sein Name vermerkt ist. Dass der Angeklagte bis heute nicht mit seiner Ehefrau über die Anklage gesprochen hat, aus Scham, wie er sagt, scheint denkwürdig. Zwar ist er inzwischen frei, aber anfangs war er in Haft. Er war freiwillig zur Polizei gegangen, um die Angelegenheit zu klären. Er hatte nur gehört, es gebe Ärger. Dass er wegen Vergewaltigung angezeigt worden war, wusste er nicht.

Whirlpool, Sauna, Dampfbad und Büffet sind im Preis inbegriffen

Der erste Prozesstag gibt Hinweise darauf, wie weit Sex gegen Geld als ein Freizeitvergnügen unter vielen wahrgenommen wird. An ihm sagt ausschließlich der Angeklagte aus: Üblicherweise sei er mit seinem Bruder oder mit Arbeitskollegen im Bordell gewesen, ein-, zweimal monatlich. Am 10. Januar hätten sie diskutiert, ob sie sich nach Feierabend in einer Shisha-Bar oder im Sakura treffen sollten.

Der FKK-Club ist von einer Anstalt der verschämten Verrichtung etwa so weit entfernt wie ein Bahnhofsimbiss von gehobener Gastronomie. Whirlpool, Sauna, Dampfbad, nichtalkoholische Getränke und das warme Büffet sind im Eintrittspreis inbegriffen. Im Garten wird bei Sonnenschein gegrillt. Das Mobiliar ist bevorzugt mit Leder bezogen.

Der Angeklagte erzählt, er habe an jenem Abend mit seinem Bruder und Kollegen an der Bar neben den Spielautomaten gesessen. Sie hätten gezockt, gequatscht, Wodka mit Orangensaft oder Red Bull gemixt. Das mutmaßliche Opfer habe sich zwischen sie gesetzt, als die ersten aus der Gruppe schon auf dem Heimweg waren.

Mitten im Akt stürmten die Kollegen das Zimmer

Der 33-Jährige glaubte, die Prostituierte wolle lieber mit ihm nach oben gehen als mit seinem Kollegen, ins Zimmer zwei, am Ende des Ganges. Inmitten des Aktes stürmten zwei Kollegen hinein, einer mit erhobenen Handy. Sie tänzelten und alberten. Nachdem die Frau sie rausgeworfen hatte, wurde der unterbrochene Sex beendet – wie und mit oder ohne Einwilligung der Frau, dies ist die Kernfrage.

Der Freier ging ins Untergeschoss zu den Duschen. Dort habe er der Prostituierten den ursprünglich vereinbarten Standardbetrag von 50 Euro bezahlt, sagt der Angeklagte, aber sie habe 100 Euro gefordert. So begann der Streit. Der Barchef und die Türsteher kamen hinzu. Sie durchsuchten ein Handy wegen des Videos, fanden es aber nicht. Ein paar Tage später kam der Hinweis an den Bruder des Angeklagten, die Polizei interessiere sich für das Geschehen.

„Ich denke, sie fand es schön mit mir“, sagt der Angeklagte. Nach anfänglichen Zärtlichkeiten habe sie den Doggystyle vorgeschlagen. „Das ist ja keine blöde Stellung“, sagt der 33-Jährige. Die Sicht der Prostituierten bleibt Privatsache. Für ihre Aussage wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Im FKK-Club arbeitet sie nicht mehr. Wie alle Bordelle bleibt das Sakura ohnehin bis auf weiteres geschlossen.