Wegen zu schmutziger Luft gilt in Hamburg seit dem 31. Mai auf einigen Straßen ein Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge, wie hier an der Max-Brauer-Allee Foto: dpa

Die Kanzlerin will weniger Einschränkungen fürDiesel-Fahrer, aber letztlich entscheiden die Kommunen, wer fahren darf. Kritik an den Kriterien für die Berechtigung zur Hardware-Nachrüstung und Umtausch kommt derweil aus der Union.

Berlin - Die Ankündigung der Bundeskanzlerin mit dem Hebel des Bundesimmissionsschutzgesetzes Diesel-Fahrverbote in Fällen zu erschweren, in denen die Grenzwerte nur geringfügig überschritten werden, hat kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Die Kanzlerin teilte mit, dass künftig Fahrverbote als unverhältnismäßig gelten sollten, wenn Städte den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter im Jahresmittel um höchstens 25 Prozent überschreiten.

Das klingt eindeutig, ist es aber nicht. Denn im Hintergrund spielt wieder einmal der alte Gegensatz zwischen dem SPD-geführten Umweltministerium und der Union eine Rolle. Kaum hatte die Kanzlerin verkündet, dass sie mehr Spielraum vor dem Aussprechen von Fahrverboten geben will, da sah sich das Umweltministerium zu einer Klarstellung gedrängt: Die Bundesregierung könne Diesel-Fahrverbote auch in Städten mit einer nur geringen Überschreitung der EU-Grenzwerte für Luftverschmutzung nicht untersagen, sagte ein Sprecher. „Am Ende entscheidet eine Kommune selbst, ob sie ein Fahrverbot verhängt oder nicht.“ Allerdings soll per Gesetz „Klarheit bei der Verhältnismäßigkeit“ geschaffen werden. Der offenkundige Widerspruch wurde am Montag durchaus nicht aufgeklärt. Nach Angaben der Union wird der Grenzwert für Stickstoffdioxid in 51 Städten nur „sehr geringfügig“ überschritten. Dazu gehörten „die Großräume Frankfurt und Berlin“. Für beide Metropolen hatten Gerichte zuletzt Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß verlangt.

FDP will Fahrverbote auch in Baden-Württemberg kippen

Der Anstoß der Kanzlerin hat auch im Land Reaktionen hervorgerufen. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke fordert die Landesregierung auf, die für Anfang 2019 geplanten Fahrverbote für ältere Dieselautos zu kippen. Ein Sprecher von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte unserer Zeitung: „Das oberste Ziel muss saubere Luft sein, nicht das Verhindern von Fahrverboten.“ Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit sei den Kommunen ohnehin durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aufgegeben. Die deutsche Umwelthilfe warf der Kanzlerin eine „durch Panik vor einem Wahldebakel in Hessen gesteuerte Pseudo-Politik vor“. Merkel versuche erneut, „die betrügerischen Dieselkonzerne zu schonen“.

Union diskutiert gerechte Kriterien für Nachrüstung

Bewegung kommt in die Dieseldebatte auch von anderen Seite. Der Koalitionsausschuss hatte sich jüngst auf einen Kompromiss verständigt. Dabei wurde festgelegt, welche Diesel-Fahrer Anspruch auf eine Hardware-Nachrüstung oder einen Umtausch haben. Als Kriterien wurden dabei der Grad der Belastung der Städte und der Wohnort der Autofahrer herangezogen, da auch Bürger in den angrenzenden Landkreisen die Leistungen in Anspruch nehmen können. Der Rastatter Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker (CDU) weist darauf hin, dass dieser Kompromiss „Ungerechtigkeiten enthalte, die den Bürgern nicht vermittelt werden können“. Das Kriterium der angrenzenden Landkreise führe „aufgrund der tatsächlichen geografischen Begebenheiten zu absurden und willkürlichen Ergebnissen“.

Whittaker beschreibt modellhaft den Fall der Gemeinde Walzbachtal, deren Belastung bei mehr als 40 Mikrogramm Stickoxid liegt. Sie liegt im Landkreis Karlsruhe-Land. Dieser grenzt an den Landkreis Rastatt. Der Landkreis Rastatt umschließt den Stadtkreis Baden-Baden. Whittaker: „Nach der getroffenen Regelung bekämen Handwerker im 64 Kilometer entfernten Bühl (südlich von Baden-Baden) ohne weiteren Nachweis die Hardware-Umrüstung, während ein Handwerker im 57 Kilometer entfernten Baden-Baden nur dann eine Umrüstung bekäme, wenn er wesentliche Geschäfte in Walzbachtal vorweisen kann.

Einheitlicher Kilometer-Radius gefordert

„Je näher man an einer betroffenen Stadt wohnt, desto eher sollte man von den Kompensationsleistungen profitieren“, sagt Whittaker. Deshalb fordert er einen „einheitlichen Kilometer-Radius um die betroffenen Städte und Landkreise“, anstelle der Orientierung an den Verläufen der Landkreis-Grenzen. Tatsächlich sind zum Beispiel auch in Schleswig-Holstein ähnliche Beispiele zu finden.