Darf die Bahn die Seitenflögel des Hauptbahnhofs för Stuttgart21 abbrechen? Nein,

Darf die Bahn die Seitenflögel des Hauptbahnhofs för Stuttgart21 abbrechen? Nein, sagt der Enkel des Architekten Paul Bonatz und pocht auf sein Urheberrecht am Altbau. Die Bahn kann zwar ungestðrt am 2.Februar mit dem Neubau beginnen. Der drohende Prozess um das Urheberrecht kðnnte die Bahn aber noch teuer zu stehen kommen.

Von unserem Reporter

Michael Isenberg

STUTTGART. Drei GesprÙche hat Peter Döbbers bisher mit der Gegenseite geföhrt, eine Verhandlungsrunde mit den Vertretern der Deutschen Bahn steht noch aus. Doch die Zeichen stehen klar auf Sturm: ¸¸Wir bereiten unsere Klage vor'', sagt der Enkel von Paul Bonatz. ¸¸Wie es derzeit aussieht, trifft man sich vor Gericht.''

Döbbers will verhindern, dass die Bahn die zwei Seitenflögel des Hauptbahnhofs abreiût, um Platz zu schaffen för ihren neuen Tiefbahnhof. Auf die Mðglichkeit, den Baustart von Stuttgart21 am 2.Februar mittels einstweiliger Verfögung zu blockieren, wird Döbbers aber verzichten. Das juristische Risiko, för die Kosten der Bauzeitverzðgerung in Haftung genommen zu werden, erscheint dem 70-JÙhrigen zu hoch. ¸¸Das machen wir nicht'', sagt er unserer Zeitung.

Nach Stand der Dinge werden sich Döbbers und die Bahn noch im Fröhjahr vor der 17.Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart begegnen. Ein erstes Urteil wÙre Anfang 2011 denkbar. Wenn es in die nÙchsten Instanzen geht, dauert es wohl etliche Jahre bis zum Richterspruch. Bis dahin kðnnten die Seitenflögel zwar lÙngst abgerissen sein. Nur: Falls die Bahn den Prozess am Ende verliert, droht ihr eine millionenschwere EntschÙdigungszahlung an Döbbers.

Das Urheberrecht, das der Bonatz-Enkel geltend macht, gilt för Literatur, Wissenschaft und Kunst, also auch för ¸¸Werke der Baukunst''. In Paragraf 14 steht: ¸¸Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere BeeintrÙchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet sind, seine berechtigten geistigen oder persðnlichen Interessen am Werk zu gefÙhrden.'' Besagtes Recht gilt 70 Jahre öber den Tod des Urhebers hinaus. Döbbers nimmt es för seinen Groûvater Paul Bonatz wahr, nach dessen PlÙnen der Hauptbahnhof 1914 bis 1928 errichtet worden ist. Bonatz ist 1956 gestorben.

So eindeutig, wie Paragraf 14 klingt, ist das Urheberrecht aber nicht. Es erkennt auch die Rechte derjenigen an, denen ein Werk gehðrt. Beim Hauptbahnhof steht das Urheberrecht von Bonatz/Döbbers im Konflikt mit den Eigentums- und Nutzungsrechten der Bahn. Die Richter mössen im Urheberrecht abwÙgen, welches Interesse öberwiegt.

För Döbbers ist der Teilabriss die ¸¸Entstellung'' eines Baukunstwerks, för die Bahn eine Maûnahme zur Verbesserung des Betriebs. Im drohenden Rechtsstreit geht es also ausschlieûlich um die VerÙnderung des Bauwerks. Wörde die Bahn den Bonatz-Bau komplett abreiûen, kðnnte es Döbbers mit dem Urheberrecht nicht verhindern. StreitfÙlle um das Urheberrecht an Architektur sind auch sehr selten. Am hiesigen Landgericht kennt man kaum mehr als einen Fall pro Jahr. Manche Konflikte bleiben freilich im Verborgenen. Zwei FÙlle aus der Region veranschaulichen die Bandbreite.

Bevor die Stuttgarter Bðrse im Jahr 2003 in ihr heutiges Domizil im Carl-Eugen-Bau einzog, drohte ein handfester Krach: Der Architekt, der in den 60er Jahren einen modernen Umbau des historischen GebÙudes konzipiert hatte, sah sein Urheberrecht durch die Abrissbirne bedroht. ¸¸Weil der Bauherr keinen Streit suchte und keine Verzðgerung wollte, konnte der Konflikt beigelegt werden'', erinnert sich ein Beteiligter. ¸¸Soll heiûen: Es wurde Geld bezahlt.'' Nicht zuletzt deshalb habe man öber den Fall bisher Stillschweigen bewahrt.

¸¸Mit Geld kann man mich nicht locken'', betont Döbbers. Vorstðûe der Bahn in diese Richtung lehnt er rundweg ab. Standhaft ist auch der Architekt Rainer Eich geblieben, der sein Urheberrecht einst bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) verteidigt hat.

Nach Eichs PlÙnen hatte die Kreissparkasse Gðppingen einen Neubau errichtet und 1993 eingeweiht. Als die Bank 1994 in das aufwendiger gestaltete Treppenhaus ein Kunstwerk einbaute, legte Eich sein Veto ein. ¸¸Meine Haltung war: Wenn das Kunst ist - was ist dann mein Treppenhaus?'', erinnert er sich. 1998 fÙllte der BGH dazu ein Grundsatzurteil - und gab Eich recht. 1999 musste das Kunstwerk vernichtet werden. Schaden för die Bank: rund 100000 Euro.

Wie der Streit um den Bonatz-Bau ausgeht, mag Eich - der als SachverstÙndiger för Architektur bundesweit vor Gericht gefragt ist - nicht vorhersagen. Sein genereller Ratschlag an beide Seiten: ¸¸Sprachlosigkeit öberwinden, nicht auf die Scharfmacher hðren und bauliche Lðsungen finden.''