Officer Charles Joseph Mitchell (links) wurde 1943 Pilot. Er starb am 29. Juli 1944 bei Münchingen. Foto: Archiv Watzl

Ende Juli 1944 stürzte beim Kaiserstein ein Bomber ab. Der Münchinger Ortshistoriker Ewald Gaukel war damals ein Bub. Aber er erinnert sich.

Korntal-Münchingen - Es war die Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1944. Ein Verband alliierter Flugzeuge hatte in dieser Nacht zum Samstag einen Angriff auf Stuttgart geflogen. Eine Maschine der Briten muss auf dem Rückflug in Richtung Norden einen Flak-Treffer abbekommen haben. Sie stürzte südlich vom Kaiserstein ab, ganz in der Nähe der Straße und des Lokals. „Mein Großvater hatte dort einen Acker“, erzählt der Münchinger Heimathistoriker Ewald Gaukel. Der heute 80-Jährige war ein Jahr vor Kriegsende ein Bub von gerade mal fünf Jahren – dennoch erinnert er sich gut an diese Zeit.

Auch Kinder gingen zur Absturzstelle

Die Nachricht vom Absturz der Maschine habe sich rasend schnell im Ort verbreitet – und man musste natürlich hin marschieren und schauen, was es zu sehen gab. „Ich war sicher nicht in der Nacht des Absturzes dort, und auch nicht am nächsten Morgen“, meint er. „Aber selbst ein paar Tage später war da noch ein Riesenloch und kleinere Teile lagen herum.“ Ein Nachbarsbub, der ein paar Jahre älter gewesen sei, habe fleißig gesammelt – und diese Erinnerungsstücke später voller Stolz den Jüngeren vorgeführt. „Der hat das uns Kleineren im Keller gezeigt“, meint Gaukel. Er erinnert sich daran, dass Buben aus Unkenntnis kleine scharfe Bomben mitgenommen hätten – deren Explosion sie schwer verletzt oder gar getötet hätten. Welche Flak-Station die britische Maschine beschossen hatte, weiß Gaukel nicht. Knapp zwei Kilometer vor der Absturzstelle aber habe sich die Flak Kallenberg befunden. „Wer dort Dienst tat, wurde im Gasthaus Müllerheim verpflegt.“

Der Stadtarchivar von Korntal-Münchingen hat sich vor wenigen Jahren mit diesem Ereignis beschäftigt. Alexander Brunotte (63) fand auf Anfrage des Weissacher Hobbyforschers Roland Watzl zwar kein militärhistorisches Material zu dem Münchinger Absturz von 1944, aber dafür welches mit ortsgeschichtlicher Bedeutung. Bei dem Absturz waren sieben der acht Besatzungsmitglieder ums Leben gekommen. Brunotte: „Die Männer wurden zunächst bei der sogenannten Flattichlinde auf dem alten Friedhof beerdigt.“ 1947 oder 1948 hat man die Toten dann exhumiert und auf dem Sammelfriedhof „Durnbach War Cemetery“ für gefallene britische Armeeangehörige in Dürnbach am Tegernsee zur letzten Ruhe gebettet. Und die örtliche Verwaltung stellte die Kosten zusammen, die „infolge Absturz eines Feindflugzeuges in der Nacht vom 28./29. Juli 1944“ entstanden waren. Diese Liste befindet sich heute im Stadtarchiv: Signatur MA-1069.

In Bad Cannstatt bestattet

Auch das Schicksal des achten Besatzungsmitgliedes ist bekannt. Roland Watzl hat es bis ins kleinste Detail erforscht: „Es war Pilot Flight Lieutenant Boadbent. Er überlebte den Absturz zunächst und wurde nach Stuttgart in ein Krankenhaus gebracht.“ Dort starb er aber kurz darauf an den Folgen seiner Verletzungen; der Mann wurde auf dem Steinhaldenfriedhof in Stuttgart-Bad Cannstatt beigesetzt.

Und noch ein Einzelschicksal dieser Besatzung ist bekannt. Charles Joseph Mitchell, Jahrgang 1917 und „Flying Officer der Royal Canadian Air Force“ hatte sich 1943 freiwillig gemeldet. Watzl: „Um Kampferfahrung zu sammeln, wurde er am 28./29. Juli 1944 als achter Mann in der Lancaster NE 117 eingesetzt. Es war sein erster und letzter Einsatz.“

Auch die Innenstadt von Bomben getroffen

Laut Angaben in dem Buch „Stuttgart im Luftkrieg“ kamen die Bomber um 1.48 Uhr an, der Angriff war um 2.30 Uhr beendet. Getroffen wurden die Innenstadt, Feuerbach, Botnang, Ostheim und Gablenberg. Der Verband bestand aus 496 Maschinen, nach Angriffen deutscher Nachtjäger und Flak kehrten knapp 40 Maschinen und Besatzungen nicht nach England zurück. In vier Nächten waren in den letzten Julitagen 1944 in Stuttgart 884 Tote zu beklagen, mehr als 1900 Menschen wurden verletzt.