Die Stadt in Flammen – so sah Sindelfingen am Morgen des 10. September des Jahres 1944 aus. Foto: Stadtarchi/v

Ein wochenlanger Bombenhagel gipfelt vor 80 Jahren in der 80-prozentigen Zerstörung des Daimlerwerks am 13. September. Vorausgegangen waren schwere Treffer ins Herz der Stadt.

Einige Sindelfinger werden sich an diese Septemberwoche des Jahres 1944 erinnern. Überall in der Stadt schossen damals tagelang die Flammen hoch – bis die Bomben trafen, was die Alliierten treffen wollten: das Daimlerwerk. Der ehemalige Kulturamtsleiter der Stadt und leidenschaftliche Archivforscher, Horst Zecha, hat im Rahmen des Projekts „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen einen Aufsatz über diese Tage des Donners geschrieben.

Was mit deutschen Bombardements auf Warschau, Rotterdam, London oder Coventry begonnen hatte, schlug bereits seit dem Jahr 1942 mit zunehmender Wucht und Brutalität auf deutsche Städte zurück. Ab 1943 nahm die Intensität der Luftangriffe massiv zu, wobei die englische Luftwaffe nächtliche Flächenbombardements und die amerikanischen Bomber immer präzisere Tagangriffe flogen. Seit Frühjahr 1944 herrschte eine weitgehend uneingeschränkte Luftherrschaft der Alliierten. Insgesamt ist bis Kriegsende von mehr als einer halben Million Toten durch Luftangriffe auf das Deutsche Reich auszugehen.

Haus Aichele in der Unteren Vorstadt Foto: Stadtarchiv

Dass das Daimler-Benz-Werk als Rüstungsbetrieb mit zunehmender Luftüberlegenheit der Alliierten Ziel von Fliegerangriffen werden würde, war abzusehen. Produziert wurden in Sindelfingen unter anderem Flugzeugteile und Heckteile der V2 – Rakete, die von der NS-Propaganda als „Wunderwaffe“ hochstilisiert wurde, obwohl sie letztendlich nur sehr begrenzten militärischen Nutzen besaß.

Die Frage war seit 1943 also nicht mehr ob, sondern wann das Werk angegriffen würde – und damit auch die Stadt in Gefahr geriet, die militärisch und strategisch keine Bedeutung hatte.

Bereits seit 1942 hatten amerikanische Aufklärungsflugzeuge das Werk immer wieder überflogen und vorbereitende Aufnahmen für einen späteren Angriff gemacht. Das Werk wurde dann in eine Liste der zu bombardierenden Industrie- und Rüstungsbetriebe aufgenommen, die von den amerikanischen Bomberverbänden sozusagen chronologisch abgearbeitet wurde. Seitens Daimler-Benz versuchte man, dieser Situation mit zunehmenden Auslagerungen zu begegnen. Zum Schutz der Belegschaft und der Bevölkerung wurde seit Anfang 1944 sowohl seitens des Werks als auch der Stadt mit dem Bau von Luftschutzstollen begonnen. Das größte Stollensystem wurde unter dem Goldberg angelegt und war für 4000 Personen ausgelegt, bot aber im Notfall bis zu 7000 Menschen Schutz. Weitere Stollen gab es unter dem Herrenwäldlesberg, im Eichholz und im Schleicher. Wahrscheinlich ist es diesen Stollen zu verdanken, dass die Zahl der Todesopfer im September 1944 nicht höher war.

Vier Großangriffe – der letzte trifft das eigentliche Ziel

Am 9. August 1944 erfolgte der erste gezielte Angriff der amerikanischen Luftstreitkräfte auf das Sindelfinger Daimler-Benz-Werk. Wegen schlechter Sichtverhältnisse beim Anflug erreichten nicht alle der gestarteten 247 Bomber überhaupt das Zielgebiet. Die dort abgeworfenen Bomben fielen überwiegend auf freies Feld. Im Daimler-Benz-Werk entstand nur geringer Schaden, allerdings wurden drei Mitarbeiter getötet.

Aus amerikanischer Sicht musste dieser Angriff als Misserfolg angesehen werden. Auch beim nachfolgenden Angriff am 14. August wurde das Werk nicht entscheidend getroffen, es waren aber wiederum sechs Tote zu beklagen.

Der nächste Angriff am 10. September 1944 hat unter der Einwohnerschaft Sindelfingens die meisten Opfer gefordert und die schwersten Zerstörungen im Stadtgebiet verursacht. 22 Menschen starben an diesem späten Sonntagvormittag, 120 Wohnhäuser wurden völlig zerstört und 760 zum Teil schwer beschädigt. Die schlimmsten Zerstörungen waren in der Unteren Vorstadt, dem Marktplatz und der Ziegelstraße zu verzeichnen. Schwer getroffen wurde auch das gerade wieder aufgebaute „Westarbeiterlager“ an der Riedmühle, in dem sieben niederländische Zwangsarbeiter starben.

Am 10. September 1944 sterben 22 Menschen, 120 Häuser werden zerstört

Besonders tragisch wirkte sich ein Bombentreffer auf den Deckungsgraben in der Planie aus.

Sechs Menschen kamen allein dort ums Leben, darunter ein eineinhalbjähriges Kind. Ein von der Geschichtswerkstatt am Goldberg initiiertes Denkmal erinnert heute in unmittelbarer Nähe an das schreckliche Geschehen vor 80 Jahren.

Erst beim vierten Luftangriff am 13. September erreichten die amerikanischen Bomber ihr Ziel. Das Daimler-Benz-Werk wurde zu 80 Prozent zerstört, wobei das wichtige Presswerk als eines der wenigen Gebäude das Bombardement weitgehend unbeschadet überstand. Dennoch strichen die Alliierten Sindelfingen nach diesem Tag aus ihrer Zielliste, sodass der Stadt bis Kriegsende weitere gezielte Angriffe erspart blieben. Durch Fehlwürfe und Jagdbomberangriffe gab es aber bis März 1945 weitere Opfer zu beklagen.

„Was uns geblieben war, wurde geplündert“

Ein Zeitzeuge schildert seine Erlebnisse u diesen Tagen: „Gleich beim ersten Luftalarm sind meine Frau und unsere zwei Kinder in den Luftschutzstollen am Goldberg gegangen.[…] Wir hatten den Eindruck, dass ein fürchterliches Erdbeben herrscht, der ganze Boden und der ganze Keller wurden durchgeschüttelt. Die Flugzeuge waren genau zu hören, ebenso der Einschlag der vielen Bomben. […] Es hat alles bös ausgesehen, ich bin dann schnell heimgelaufen, um zu sehen, ob bei uns was passiert ist. Als ich am Marktplatz beim Rathaus angekommen bin, habe ich gerade zugesehen, wie der brennende Giebel unseres Hauses auf die Ziegelstraße gefallen ist. Das, was dort noch übrig war, also fast das einzige, was uns noch geblieben ist, wurde auch noch von irgendwelchen Leuten geplündert. Ein paar Nachbarn, die während des Angriffs zu Hause geblieben sind, haben noch versucht, einige Sachen zu retten. . .“