Evakuierte Anwohner versammeln sich in der Sporthalle. Foto: Lichtgut /Ferdinando Iannone

Auf einer Baustelle wird ein Blindgänger freigelegt, 5000 Menschen müssen ihre Häuser verlassen. Zuflucht finden sie in der Sporthalle Zuffenhausen. Dort müssen sie sieben Stunden lang ausharren bis zur erlösenden Nachricht.

Stuttgart - „Ich bin aufgeregt, seit vier Uhr wach! Mist. Aber was will man machen. Geht ja nicht anders. Ah, da ist ja meine Schwester, die holt uns ab.“ Szenen einer Evakuierung. Die Mitfünfzigerin winkt, bugsiert ihren Partner samt Rollkoffer zu einem Auto, das kurz nach sechs Uhr früh an der Künzelsauer Straße in Zuffenhausen hält. „Jetzt erst mal raus hier“, sagt sie noch. „Hoffentlich geht alles gut.“

Auf einer Baustelle ganz in der Nähe war bei Vorarbeiten zu einem privaten Bauvorhaben eineFliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden. Sie soll an diesem Vormittag vom Kampfmittelbeseitigungsdienst entschärft werden. Dafür muss das Zentrum von Zuffenhausen geräumt werden – das ganze Gebiet zwischen Colmarer Straße, Dachsrain, Burgunderstraße und Mönchsbergstraße. Ein Gebiet, in dem circa 5000 Menschen leben und arbeiten, darunter Gabriele. Sie hat ihren Kater Tiger dabei, der mucksmäuschenstill in seiner Transportbox sitzt. „Ich bin erst hergezogen“, sagt sie, „wo ist die Sporthalle Zuffenhausen?“

Herberge für Heimatlose

In der Halle finden alle Zuflucht, die für die Dauer der Entschärfung nirgendwo anders unterkommen. Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) stellen dort Feldbetten, Tische und Bänke auf. Am Eingang werden die eintreffenden Anwohner registriert, ihr Impf- und Teststatus überprüft.

Wie lang sie dort ausharren müssen, weiß keiner. „Es hieß, bis 13 Uhr könnte es dauern“, sagt Christiane Schardin vom DRK. Familie Lolas hat sich deshalb häuslich eingerichtet – mit Hund Coby und Schlafsäcken für die neunjährige Taniz und den dreieinhalbjährigen Evangelos. In den Rucksäcken der beiden sind Bücher, Stifte, ein Notepad – „und Marshmallows“, freut sich Taniz. Nesthäkchen Stribor sitzt gemütlich im Kinderwagen und beobachtet das Treiben neugierig. „Es war schon hektisch, alles vorzubereiten, auch mit meiner dementen Schwiegermutter, sagt die Mutter der Kleinen.

Die Polizei informiert mit dem Megafon

In der Kita habe man von der Evakuierung erfahren, erzählt ihr Mann. „Über Mundpropaganda.“ Am Abend sei auch die Polizei herumgefahren, hätte per Megafon informiert, so der Diplom-Ingenieur. „Eigentlich hätte ich Homeoffice, jetzt gehe ich ins Büro.“

Draußen wird es heller, vor der Sporthalle voller. Auf dem Festplatz haben sich zahlreiche Polizeiwagen positioniert. 200 Einsatzkräfte sind in Zuffenhausen. Mit den Fahrzeugen und zu Fuß machen sich die Beamtinnen und Beamten auf den Weg, um im Sicherheitsgebiet Haus für Haus zu kontrollieren. Kein Mensch darf bleiben. „Achtung, Achtung“, hallt es aus den Lautsprechern, „wegen einer Bombenentschärfung muss dieses Gebiet jetzt evakuiert werden.“

Manche Anwohner brauchen Hilfe

Im Großen und Ganzen klappt das ganz gut, allerdings gibt es etliche Nachzügler: „Immer wieder melden sich Personen, die nicht richtig laufen können und die wir abholen müssen, darunter auch bettlägerige“, sagt ein Polizeisprecher. Deshalb verzögere sich der Ablauf etwas. Manche Bewohner packen die letzten Sachen in den Kofferraum und düsen los.

Raus kommen sie, rein keiner mehr: Die Zufahrt zur Haldenrainstraße ist mit Polizeifahrzeugen blockiert, die Stadtbahnlinien U 7 und U 15, die Buslinien 52 und 53 stehen still. Auf der Baustelle beginnen die Experten vom Kampfmittelbeseitigungsdienst unter einem Zeltdach mit ihrer diffizilen Arbeit. Um 13.23 Uhr ist die Gefahr gebannt, die Bombe entschärft.

Die Polizei twittert: „Die #Fliegerbombe in #Zuffenhausen wurde entschärft. Die Sperrungen sind aufgehoben und Betroffene können wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Vielen Dank für Eure Geduld & Euer Verständnis.“