Imagewandel bei den Jüngeren: Bücher taugen wieder als Fotomotiv, mit dem man sich in Szene setzen kann. Foto: imago/Depositphotos/xcai

Die Attraktivität der Buchbranche steigt ebenso wie die Zahl der Azubis, meint Tom Erben vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Baden-Württemberg. Wie stehen Handel und Verlage im Land derzeit da?

Mit der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am 15. Oktober geht es auch wieder um die Zukunft der Verlage, des Handels und des Lesens im Land. Tom Erben, der die Geschäfte im Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Baden-Württemberg führt, sieht junge Vielleser und eine Renaissance der Literaturfestivals im Südwesten. Doch ein Trend bereitet ihm große Sorgen.

 

Herr Erben, wie zuversichtlich blicken Sie auf die Frankfurter Buchmesse?

Ich bin positiv gestimmt. Zwar geht die Zahl der Buchkäuferinnen und -käufer insgesamt in allen Altersgruppen zurück. Dafür bleiben uns die Menschen treu, die schon lange viele Bücher kaufen. Zudem ist die Anzahl der 13- bis 19-Jährigen, die besonders viele Bücher kaufen, in der Pandemie stark gestiegen und nimmt noch immer leicht zu. Es wachsen also neue Vielleser nach – hier ist eine erfreuliche Trendwende zu erkennen.

Foto: Börsenverein/Kleinbach

Was lesen die Jüngeren?

Alles, was mit Romantik, Fantasy oder der Zeit rund um das Erwachsenwerden zu tun hat: Hierfür sind Kategorien wie Young Adult, New Adult, Romance oder Romantasy zu erfolgreichen Genres geworden. Diese Bücher lassen sich leicht lesen, Serien sind besonders beliebt. Ähnlich wie es bei den Harry-Potter-Büchern war, greifen aber auch viele Erwachsene zu. Vor allem die großen Buchhandelsketten sind auf den Trend aufgesprungen.

Diese Bücher sind oft aufwendig gestaltet, mit Lesebändchen, Farbschnitt und auffallenden Buchcovern.

Die Optik ist ein Teil des Erfolgs. Jeder dritte junge Mensch wird über Social-Media-Kanäle, vor allem auf Tiktok, auf neue Bücher aufmerksam. Bücher taugen wieder als Fotomotiv, mit denen man sich in Szene setzen kann. Die Bücherwand der Intellektuellen ist gewissermaßen als Lifestyle-Objekt wiedergekehrt, das sich gut posten lässt und das auch ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt.

Welche Rolle spielt dabei der Kulturpass, mit dem 18-Jährige für 100 Euro einkaufen können?

Er wirkt als Konjunkturprogramm fürs Lesen, denn der Gutschein wird ganz überwiegend für Bücher eingetauscht. Dadurch kommen viele überhaupt zum ersten Mal in eine Buchhandlung und bestellen nicht nur online. Zudem ist die Zahl der Auszubildenden das erste Mal nach jahrelangen Rückgängen wieder gestiegen. Der Buchhandel wird für die Jobsuche attraktiver, weil sich das Image verbessert hat.

Und doch steigt auch die Zahl jener, die keine Bücher kaufen und schlecht lesen können.

Dass die Lesekompetenz immer weiter abnimmt, bereitet uns große Sorgen. Wir versuchen, mit dem Vorlesewettbewerb und der Lesetüten-Aktion zum Welttag des Buches gegenzusteuern. Viele engagierte Buchhandlungen setzen sich vor Ort dafür ein.

Wie steht der Buchhandel in Baden-Württemberg da?

Grundsätzlich leidet er unter den gleichen Problemen wie der Einzelhandel bundesweit: Die Innenstädte sind schwächer besucht, die Konsumlaune ist infolge der wirtschaftlichen und weltpolitischen Lage getrübt, die Kosten steigen. Mehr als jedes zehnte Buchhandelsunternehmen musste in den vergangenen vier Jahren schließen. Wenn die Babyboomer in Rente gehen, sperren sie oft den Laden für immer zu. Immerhin ist im bundesweiten Vergleich die Kaufkraft bei uns höher und das Bildungsbürgertum zahlreicher, das hilft.

Wie sieht es mit den Verlagen aus?

Die Verlage im Südwesten erwirtschafteten 2023 mit rund 1,7 Milliarden Euro bundesweit den mit Abstand größten Umsatz. Stuttgart ist nach wie vor der viertgrößte Verlagsstandort und hat die höchste Verlagsdichte pro 100 000 Einwohner. All das kommt oft nicht zur Geltung, weil es anderswo viel mehr belletristische Verlage gibt, die für mehr Aufmerksamkeit sorgen. In Baden-Württemberg dominieren vor allem Fach-, Ratgeber- und Reiseverlage.

Die Existenz vieler kleiner Literaturverlage ist latent bedroht. Deren Titel werden in der Flut von Neuerscheinungen kaum wahrgenommen.

Das ist ein Problem, wenn Budgets oder Know-how für Online-Marketing fehlen, denn die klassische Buchbesprechung in den Medien hat immer weniger Einfluss auf die Kaufentscheidung. In den Boulevardbuchhandlungen zählen natürlich auch eher die großen Namen. Die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen bieten hier noch am ehesten Platz für Neuentdeckungen. Außerdem sind in den vergangenen Jahren viele Literaturfestivals und -messen entstanden, zuletzt in Baden-Baden, Hinterzarten, Weinheim und Ladenburg. Viele kleinere Verlage nutzen das als Chance, sich zu präsentieren. Auch die Stuttgarter Buchwochen bieten hier eine Plattform.

Die Buchbranche lebt auch vom Prinzip Selbstausbeutung, wo oft viele Überstunden bei geringem Gehalt geleistet werden. Nervt Sie das selbst?

Es ärgert mich nur, wenn das unglaubliche Engagement der Buchmenschen für selbstverständlich erachtet wird. Die gesellschaftliche Wertschätzung für Bücher steigt nach meiner Einschätzung aber derzeit wieder, denn es ist ja eine Tätigkeit, die durchaus Sinn stiftet.

Wenig zahlen, aber Sinn stiften – wie lange trägt so ein Modell noch?

Ich selbst habe mich vor 40 Jahren entschieden, statt mit BWL etwas mit Büchern zu machen. Menschen wie mich wird es immer geben. Natürlich muss auch das Gehalt stimmen – aber in unserer Branche verkauft man keine Waschmaschinen, sondern Bücher, mit denen sich viele auch in ihrer Freizeit gerne beschäftigen.

Gelernter Buchhändler beim Börsenverein

Biografie
Seit 2023 leitet Tom Erben (59) die Geschäfte des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Baden-Württemberg. Zuvor arbeitete der gebürtige Schorndorfer unter anderem im Direktorium der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und als Geschäftsführer des Aufbau-Verlags in Berlin. In Vaihingen/Enz ließ er sich einst zum Sortimentsbuchhändler ausbilden.

Börsenverein
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vertritt die Interessen von Verlagen, Sortimentern und Buchhandel. Unter den Vereinsmitgliedern trägt er den Wettbewerb Deutscher Buchpreis aus, der am 14. Oktober kurz vor der Frankfurter Buchmesse (15. bis 20. Oktober) vergeben wird.

Umsatz
Der Umsatz im deutschen Buchmarkt stieg im ersten Halbjahr 2024 im Vorjahresvergleich um 1,2 Prozent. Bereits 2023 hatte er sich im Vorjahresvergleich um 2,8 Prozent auf 9,71 Milliarden Euro erhöht. Einen großen Anteil haben die Belletristik und Kinder- und Jugendbücher, wo neue Genres bei den jüngeren Leserinnen und Lesern gefragt waren.