Die Gefahr einer schweren Rezession scheint gebannt, das hat die Aktienkurse beflügelt. Doch ob und wann die Wirtschaft wieder wächst, ist ungewiss.
Seit dem Jahreswechsel ist der Deutsche Aktienindex (Dax) um acht Prozent gestiegen. Nun müssen die Unternehmen liefern. Ihre Bilanzen und Jahresausblicke werden die Richtung bestimmen.
Was hat die Rallye ausgelöst? Die deutsche Wirtschaft ist bislang besser durch den Winter gekommen als angenommen. Eine Gasmangellage blieb aus. Der Börsenpreis für Erdgas ist aktuell sogar niedriger als vor Beginn des Ukraine-Kriegs, was darauf hoffen lässt, dass die Endkundenpreise für Unternehmen und Verbraucher zumindest nicht weiter steigen. Obendrein hat sich die hohe Inflation – vor allem in den USA – abgeschwächt. Die US-Notenbank dürfte ihren Leitzins deshalb in den nächsten Monaten behutsamer erhöhen als 2022. Damit schwindet das Risiko einer Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten.
Warum schlägt sich der Dax besser als andere Indizes? Da in den Vereinigten Staaten die Energieversorgung nie gefährdet war, profitieren von der Erleichterung über die Überwindung der Krise nun besonders europäische Aktien. Und: Das Ende der Null-Covid-Politik in China dürfte gerade der deutschen Industrie nützen, weil für sie die Volksrepublik ein wichtiger Absatzmarkt ist. Wenn nach der aktuellen Coronawelle die chinesische Konjunktur wieder anspringt, dürfte die Nachfrage nach Autos und Maschinen aus Deutschland steigen – gleichzeitig sinkt die Gefahr, dass die Lieferung von Vorprodukten aus China ausfällt.
Ist die Gefahr einer Rezession vom Tisch? Ein tiefer Einbruch der Wirtschaftsleistung ist mittlerweile unwahrscheinlich. Doch die Erleichterung über den vergleichsweise milden Verlauf des Winters sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kaufkraft der Verbraucher unter der hohen Inflation leidet. Der private Konsum, der nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts im vierten Quartal noch eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verhinderte, könnte als Konjunkturstütze wegbrechen. Einige Ökonomen erwarten deshalb weiterhin eine Rezession: Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) beispielsweise rechnet für das Gesamtjahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent, ebenso die Commerzbank. Die Deutsche Bank geht mittlerweile davon aus, dass die deutsche Wirtschaft nur im laufenden Quartal schrumpft und danach wieder wächst. Das gleiche Muster erwartet auch das Ifo-Institut. „Insgesamt wird die gesamtwirtschaftliche Produktion im Jahr 2023 damit voraussichtlich stagnieren“, erklärte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser Mitte Januar.
Werden die Aktienkurse wieder sinken? In den nächsten Monaten sind Rückschläge durchaus wahrscheinlich. Denn wenn der Konsum zurückgeht, dürften auch die Margen vieler Unternehmen unter Druck geraten. Nach Einschätzung von Commerzbank-Analyst Andreas Hürkamp werden die Gewinne der 40 im Dax notierten Konzerne 2023 im Schnitt zehn Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr. Hürkamp erwartet deshalb „nervöse Aktienmärkte mit überdurchschnittlich hohen Kursschwankungen“.
Der Chefanlagestratege der DZ-Bank, Sven Streibel, weist indes darauf hin, dass schon in den vergangenen Monaten vor Gewinneinbrüchen gewarnt wurde – die in der Breite ausblieben. „Nun folgt die Stunde der Wahrheit im Zuge der Berichterstattung über die nominalen Quartalsgewinne der Unternehmen für das vierte Quartal.“
Sollte man mit dem Aktienkauf also besser warten? Nach Einschätzung der LBBW könnte der Dax nach einem schwierigen ersten Halbjahr bis zum Jahresende auf 16 000 Zähler steigen. Die Landesbank hat ihre Prognose gerade um 500 Punkte erhöht, andere Banken halten sich damit noch zurück. Doch auch wenn weitere Kurssprünge in diesem Jahr ausbleiben sollten: Im historischen Vergleich seien deutsche Aktien „nicht übermäßig teuer“, hebt Ulrich Stephan hervor, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank.
Damit bestehen gute Chancen, dass – sobald die Wirtschaft tatsächlich auf einen stabilen Wachstumspfad zurückkehrt – sich auch der Aufwärtstrend an den Aktienmärkten stabilisiert. Wann dieser Punkt erreicht ist, weiß man ohnehin immer erst hinterher.