Börsenchef Michael Völter: Stuttgart will vorne dabei sein. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Börse Stuttgart folgt dem ­Bitcoin-Hype und sie hat ein Rekordjahr bei Aktien hingelegt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Börsenchef Völter, warum sie dennoch nicht mehr die führende Privatanlegerbörse ist.

Stuttgart - Die Börse Stuttgart folgt dem Bitcoin-Hype und sie hat ein Rekordjahr bei Aktien hingelegt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Börsenchef Völter, warum sie dennoch nicht mehr die führende Privatanlegerbörse ist.

Herr Völter, die Stuttgarter Börse hat 2017 Bitcoin-Zertifikate im Volumen von 220 Millionen Euro gehandelt. Springen Sie auf den Bitcoin-Zug auf?
Kryptowährungen insgesamt entwickeln sich zu einer neuen Anlageklasse. Es entstehen Wertpapiere auf Basis der Digitalwährungen. Selbstverständlich wollen wir als Börse vorne dabei sein und Produkte, die wir für relevant halten, auch handelbar machen. Jeder kann nachlesen, dass die Produkte bis auf einen Wert von Null fallen können. Ob er das Risiko tragen will, muss der Anleger selbst entscheiden.
Ist der Bitcoin-Boom nicht eine Blase, die früher oder später platzen wird?
Es ist doch häufig so: Kommt ein Produkt neu auf den Markt, entsteht ein Hype. Auf einmal gibt es viel mehr Käufer als Verkäufer, die Preise steigen. Später mit Gewinnmitnahmen schwanken die Kurse heftig. Das haben wir auch in der vorletzten Woche beim Kurssturz des Bitcoin um fast 40 Prozent gesehen. Letztlich ist es eine normale Entwicklung. Die Kurse werden sich über Monate und Jahre hinweg einpendeln auf ein bestimmtes Niveau.
Fürchten Sie nicht, die Börse Stuttgart könnte zu einem Platz für Geldwäsche und Steuervermeidung werden?
Überhaupt nicht. Weil wir nicht den Bitcoin, also die Kryptowährung selbst handeln, sondern Wertpapiere, die darauf aufsetzen. Viele Anlageklassen können positiv oder negativ genutzt werden. Theoretisch können Sie Schwarzgeld auch mit Gold waschen. Wenn etwas neu im Markt ist wie Bitcoin, herrscht Wildwest-Stimmung – bis es zu einer Regulierung kommt. Deshalb warnen derzeit die Zentralbanken vor Investitionen in Bitcoin. Aber die Finanzprodukte, deren Handel wir anbieten, sind grundsätzlich wenig geeignet, um Schwarzgeld zu waschen.

Rekordumsatz bei Aktien

Die Stuttgarter Börse hat noch nie so viel Umsatz mit Aktien gemacht wie 2017.
Das ist richtig.
Und doch hat sie ihre Spitzenposition als führende Privatanlegerbörse an die Berliner Börse Tradegate verloren. Warum?
An der Börse Stuttgart werden viele unterschiedliche Anlageklassen gehandelt: Verbriefte Derivate, Aktien, Fonds und Anleihen. Wenn nur die Aktienumsätze nach oben gehen, dann ist das schön, zieht aber die anderen Anlageklassen nicht mit. Die Umsätze in verbrieften Derivaten und Anleihen, wo wir stark sind, sind 2017 gleich geblieben. Wenn eine Börse schwerpunktmäßig nur Aktien handelt, schlägt die Marktdynamik ganz anders durch.
Aber betrachtet man nur die Aktien, hat Stuttgart den Umsatz um 8,5 Prozent gesteigert, die Börse Tradegate um 28 Prozent.
Da hat es vermutlich eine Verschiebung im Markt vom Frankfurter Parkett zu Tradegate gegeben. Beide Handelsplätze sind übrigens Töchter der Deutschen Börse. Stuttgart hat offensichtlich nur wenig oder keine Anleger Richtung Tradegate verloren. Unser Marktanteil bei Inlandsaktien liegt seit Jahren konstant um die 20 Prozent.
Liegt die Verschiebung an den Preisen?
Das glaube ich nicht. Die Börse Stuttgart hat mit ihrem Fokus auf den Privatanleger ihren festen Kundenkreis. Wir geben dem Privatanleger die besten Preise, und dafür zahlt er ein Handelsentgelt. Tradegate verlangt kein Handelsentgelt, also muss das Geld über breitere Spannen zwischen Ankaufs- und Verkaufspreisen verdient werden. Anleger erhalten somit nicht immer die besten Preise. Wer häufig handelt, bemerkt diese Unterschiede. Wir meinen, dass wir im Service gegenüber dem Kunden das bessere Gesamtpaket haben.

Was sich durch Mifid II ändert

2007 war das bisher beste Jahr in der Geschichte der Börse. Heute hat die Stuttgarter Börse weniger als die Hälfte des Umsatzes aus 2007. Was setzt Ihnen so zu?
2007 machten verbriefte Derivate noch drei Viertel unseres Handelsvolumens aus, und diese Anlageklasse war gefragt wie nie. Der Markt hierfür hat sich seither deutlich verkleinert. Einige große Marktteilnehmer haben sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Wir haben uns deshalb breiter aufgestellt, haben den Handel mit Indexfonds, Anleihen und Aktien ausgebaut. Kryptowährungen könnten irgendwann eine weitere Anlageklasse werden. Zudem hat sich aber auch ein Gutteil des Handels von der Börse in den außerbörslichen Bereich verlagert.
Die Umsatzzahlen, die Sie veröffentlichen, betreffen nur den börslichen Handel.
Genau. Für den außerbörslichen Handel werden keine Zahlen veröffentlicht. Nur so viel: unser außerbörslicher Umsatz mit verbrieften Derivaten liegt bei weitem über dem Umsatz im börslichen Handel. Mit unserer Tochter Cats, einer außerbörslichen Handelsplattform, haben wir einen Marktanteil von rund 50 Prozent.
Von Ihrem veröffentlichten Umsatz lässt sich somit nicht auf Ihre Gewinne schließen.
Die Gewinne im Jahr 2017 sind stabil. Es war von den Gewinnen her ein gutes durchschnittliches Jahr.
Warum haben die Börsen so viel Umsatz verloren? 70 Prozent des Volumens bei den verbrieften Derivaten werden inzwischen außerhalb der Börsen gehandelt.
Der Gesetzgeber hat 2007 mit der Finanzmarktverordnung Mifid I begünstigt, dass Finanzprodukte auf außerbörslichen Plattformen gehandelt werden. Alle Börsen haben daraufhin Geschäft an den nicht regulierten Handel verloren. Wir bevorzugen den Handel an der Börse, weil er überwacht, fair und transparent ist. Aber wenn der Gesetzgeber den außerbörslichen Handel zulässt, müssen wir auch dort präsent sein. Mit Mifid II versucht der Gesetzgeber die Entwicklung jetzt zu korrigieren.
Was ändert sich für die Börse durch die neue Finanzmarktverordnung Mifid II?
Außerbörsliche Handelsplattformen werden stärker reguliert. Ich habe die Hoffnung, dass dadurch Geschäft an die Börsen zurückverlagert wird, denn Regulierung verursacht Kosten, und der Kostenvorteil der außerbörslichen Plattformen nivelliert sich. Vollständig zurückdrehen lässt sich das Rad aber nicht mehr. Als Privatanlegerbörse begrüßen wir den höheren Schutz der Anleger, den Mifid II bringt.
Banken klagen über die Bürokratie, die die Verordnung bringt, und wollen sich weiter aus der Anlageberatung zurückziehen.
Das ist ein echtes Problem. Ich habe Sorge, dass der Anleger weniger Beratung bekommt, weil das durch die neuen Vorschriften für Banken und Berater zu teuer wird. Das wird hoffentlich von den Aufsichtsbehörden erkannt und korrigiert werden. Darauf setze ich.

Pläne mit der Börse in Bern

Sie haben im Dezember die Mehrheit an der Berner Börse erworben – einem kleinen Handelsplatz, der rote Zahlen schreibt. Warum?
Wir freuen uns sehr über den Erwerb. Unser Geschäftsmodell, das auf den Privatanleger ausgerichtet ist, gibt es in der Schweiz bisher so nicht. Wir wollen die kleine Schweizer Börse BX Swiss mit unserem Know-how unterstützen, damit sie ihre Position stärken und Privatanlegern geeignete Produkte anbieten kann, die ihm Spaß machen. Die Größenordnungen sind für unser Haus überschaubar. Wir haben einen Drei-Jahres-Plan aufgestellt. Sich in einem Privatanlegermarkt zu etablieren, braucht Zeit.
Die Börse Bern hat nur eine Handvoll Mitarbeiter. Was kann das bringen?
Die Berner Börse hat heute nur ein geringes Angebot, 1300 Produkte sind gelistet. In Stuttgart können 1,6 Millionen Produkte gehandelt werden. Die BX Swiss wird ihre Produktpalette verbreitern. Wir wollen nicht gegen die große Börse in Zürich antreten, sondern werden die Nische besetzen, die die anderen freilassen.